Lee “Scratch” Perry
OK, let’s take it from here…
Rainford Hugh Perry, besser bekannt als Lee “Scratch” Perry, geboren am 20. März 1936 in Kendal (Hanover), Jamaica, ist zweifelsohne einer der bedeutendsten und einflussreichsten Musiker, Sänger und Produzenten des 20. Jahrhunderts. Wie kein anderer prägte er die Entwicklung von Ska, Reggae und Dub. Und kaum jemand trat unter so vielen Pseudonymen auf wie er: The Upsetter, Pipecock Jackxon, Captain McKay, The Wonderman, Super Ape, Jamaican E.T., etc.
Nachdem er anfänglich für Clement “Coxsone” Dodd’s Downbeat Sound System und dessen Studio One arbeitete, und sich später mit dem Produzenten Joe Gibbs zusammentat, begann sein Siegeszug spätestens 1968 mit der Gründung seines eigenen Upsetter Labels und seiner gleichnamigen Studioband.
Bald schon gingen bei ihm Reggae-Größen wie Bob Marley & the Wailers, Max Romeo, Junior Murvin, The Congos, The Heptones, The Silvertones und Junior Byles ein und aus. Mit Return of Django landete er zusammen mit den Upsetters als erster überhaupt einen Hit außerhalb Jamaikas, noch bevor Bob Marley dies Jahre später gelang. Und zwar in England, wohin viele Auswanderer aus der Karibik gekommen waren.
Zu jener Zeit war es üblich, die B-Seite einer Single einfach mit der Instrumentalfassung des Songs zu füllen. Lee Perry gab sich damit aber nicht zufrieden, sondern begann, nachdem die Bands und Sänger das Studio verlassen hatten, die Stücke neu zu arrangieren. Der Remix war geboren (der Begriff an sich noch nicht, zunächst wurde dieser als “Version” oder “Dub” bezeichnet). Er spielte mit Höhen und Tiefen, setzte die Reihenfolge neu zusammen, nutzte Echos und Verzerrungen, und verwendete zahlreiche Soundeffekte – von Tiergeräuschen und Pistolenschüssen über Wasserplätschern und zerbrechendem Glas bis hin zu eigenen Gesangseinlagen und Interpretationen. Als Motto dienten dazu gerne Spaghetti-Western, Kung-Fu-Filme oder große Boxkämpfe.
Um das alles an den Mann zu bringen, übernahm er in Kingston den Plattenladen von seinem Kumpel Prince Buster und nannte ihn – wie auch anders – Upsetter Record Shop. Die exklusiven Upsetter-Scheiben, die es anfangs eben nur hier zu bekommen gab, waren der Renner bei den lokalen DJs. Der Begriff “DJ” war damals in Jamaika noch anders belegt als heute. Die Rolle des DJs bestand nicht nur aus der Auswahl und Aneinanderreihung der passenden Tracks, sondern war vielmehr begleitet von Sprechgesang und anheizenden Kommentierungen.
1973 eröffnete Perry das Black Ark Studio, das meines Erachtens seine kreativste Phase einläutete und damit den Höhepunkt seines Schaffens verkörpert. Dort entstanden Meilensteine der Musikgeschichte wie Police and Thieves, War in a Babylon, The Heart of the Congos, Super Ape, Chase the Devil usw. Einen guten, aber bei weitem nicht vollständigen Überblick bietet dazu die 3er-CD-Box Arkology, die ich jedem interessierten Leser ans Herz legen möchte (erschienen beim Island Label).
Gegen Ende der Siebziger Jahre wurde es dem Meister zu stressig: Schutzgelderpresser und Schmarotzer machten ihm zu schaffen, die Aufnahmesessions waren zunehmend von Ganja- und Alkohlexzessen begleitet, Island Records fand immer weniger Gefallen an seinen Experimenten, und schließlich kam es auch noch zu einer Krise mit seiner damaligen Frau Pauline, von der er sich später trennte. Zu dieser Zeit scheint sich Lee Perry zunehmend von der irdischen Welt zu verabschieden und noch durchgeknallter zu werden. Er ist davon überzeugt, dass Black Ark verhext sei und er die Flucht nach vorne angehen müsse. Er zieht zunächst nach New York, wo er mit unbedeutenden lokalen Reggae-Bands zusammenarbeitet, aber u.a. auch mit der englischen Punk-Combo The Clash auftritt. Nach einer Weile im Exil kehrt er in die Heimat zurück.
Und eines Tages 1983 brannte das legendäre Black Ark Studio ab, und mit ihm viele unveröffentlichte Aufnahmen. Die genaueren Umstände wurden nie aufgeklärt. Ob es nun Brandstiftung war, ein technischer Defekt, oder – wie Perry oft selbst behauptete – er selbst, kann bis heute keiner wirklich belegen.
Das Black Ark Studio war zerstört, und mit ihm sein Gründer. Er schien keinen Halt mehr zu finden und ergriff erneut die Flucht – diesmal nach England, wo er zunächst auch nicht richtig Fuß fassen konnte und zu oft an die falschen Leute geriet. Mit dem Album Battle Of Armagideon gelang ihm aber 1986 schließlich ein Neuanfang. Time Boom X De Devil Dead und From My Secret Laboratory folgten. Zu dieser Zeit, Anfang der Neunziger Jahre, stieß ich selbst zum ersten Mal auf seine Musik – und ich war begeistert. Damit begann mein Interesse am und meine Liebe zum Reggae. Nach der Black Ark Ära war das wohl seine bedeutendste Schaffensperiode. Zu jener Zeit war Perry bereits in die Schweiz emigriert, wo er bis heute in einem Züricher Vorort wohnt.
Es folgten einige weitere Alben unterschiedlicher Qualität. Hervorzuheben bleibt neben seiner produktiven Kollaboration mit Mad Professor die Zusammenarbeit mit den Beastie Boys, in deren Grand Royal Fanzine er zunächst gefeatured wurde und damit einem neuen Publikum zugänglich gemacht wurde. Schließlich verewigte er sich auf deren Album Hello Nasty mit einem gemeinsamen Song (Dr. Lee, Ph.D.).
An der Erstellung einer umfassenden und abschließenden Diskographie haben sich übrigens schon viele versucht – und sind gescheitert. Lee Perry produzierte einfach unter zuvielen verschiedenen Namen und das bei zahlreichen Labels. Bootlegs und Schwarzpressungen gibt es ebenso in Hülle und Fülle. Selbst für ernsthafte Sammler ein unerschöpfliches Feld.
In Berlin gastierte er zuletzt am 2. Dezember 2005 im Kesselhaus, wo ich ihn zusammen mit seiner schweizerischen Combo White Belly Rats in tradtionellem äthiopischen Gewand bewundern konnte.
Als Tipp zum Reinhören empfehle ich Radio Scratch, einen Podcast von Mick Sleeper aus Kanada. In jeder einzelnen Ausgabe beschäftigt er sich mit einem bestimmten Aspekt des Werkes von Lee Perry.
Am 1. Januar 2008 um 03:12 Uhr
rasta far sai everlivin`selassie I the 248. I am still 376 zillion lightyears away from the real home but heading forward.
LenzIlenz