Äthiopien im Januar 2005

Äthiopien. Abessinien. Wiege der Menschheit. Das sagenumwobene Land auf dem afrikanischen Kontinent. Das erste in Afrika, in dem sowohl das Christentum als auch der Islam zuerst Fuß fassten. Heimat der legendären Königin von Saba, die einst König Salomon den Kopf verdrehte (siehe Koran und Bibel). Quelle des Blauen Nils. Aufbewahrungsort der Bundeslade, mit der Moses die Gesetzestafeln in Empfang nahm. Auch das einzige afrikanische Land, das nie einer Kolonialmacht gehorchen musste. Aber das alles lässt sich – ebenso wie aktuelle Reisetipps – an anderen Stellen besser nachlesen. Ich beschränke mich daher auf ein paar ganz persönliche Beobachtungen.

Als leidenschaftlicher Reggae-Hörer entging mir natürlich nicht, dass in vielen Stücken die Rede von der Rückkehr ins gelobte afrikanische Herzland ist, ebenso wenig wie die Lobpreisungen auf den letzten äthiopischen Kaiser Haile Ras Tafan Selassie, der einst bei seinem Staatsbesuch in Jamaika wie der Messias empfangen wurde. Ich wurde also neugierig auf dieses unbekannte Land und begann schließlich mit der Reiseplanung.

 

Afrika Tis Abey - der Blaue Nil unweit seiner Quelle Kaiser Haile Selassie

 

Wenige Wochen später war ich also im guten, alten Abessinien. Problemlose Anreise, was schon damit begann, dass auf Kanal 7 des Inflight Entertainment Programms der Ethiopian Airlines zur Einstimmung Burning Spear lief.

Addis Abeba, 2370 Meter über dem Meer, blauer Himmel, strahlender Sonnenschein, 25 Grad, und weit und breit keine Hektik oder Stress. So kann’s weitergehen!

Nach ein paar Tagen zur Akklimatisierung in der Hauptstadt, begab ich mich nach Lalibela, wo einige beeindruckende Felskirchen mit farbenprächtigen Wandmalereinen zu bewundern sind.


Kirchliche Wandmalerei Felskirche in Lalibela Bibel in amharischer Schrift


Der nächste Bus nach Weldiya

Nur wenige der Fernstraßen Äthiopiens sind asphaltiert. Staubige Stein- und Sandpisten, große Höhenunterschiede, unwegsames Gelände und schrottreife Verkehrsmittel machen dabei eine Reise von A nach B zur Herausforderung. Der bevorstehenden Strapazen bewusst, buchte ich eine Mitfahrgelegenheit in einem Geländewagen - für die erste Etappe der etwa 500 km von Lalibela nach Aksum, die etwa drei Tage Fahrzeit in Anspruch nimmt. Am nächsten Morgen erscheine ich pünktlich um 5 Uhr am vereinbarten Treffpunkt. Nachts wird wird hier vernünftigerweise nicht gefahren, und wer schon einmal in Indien unterwegs war, weiß dies zu schätzen.

Und da stehe ich nun in der morgendlichen Kälte und “wart auf des Brummen von an Mercedes Diesel, aber’s brummt ned, brummt ned” (in Anlehnung an einen österreichischen Schlager aus den 80ern). Stattdessen erscheint ein Bote, der mir mitteilt “problem with machine, take bus”. Na gut, schon so früh auf den Beinen, begebe ich mich zum “Busbahnhof”: Das ist der zentrale Platz am Ort, kein Ticketbüro, keine Teestube, nur ein einziger Bus und weit mehr willige Fahrgäste als jemals darin Platz finden könnten, die alle angeregt miteinander diskutieren.

Es dauert eine Weile bis ich herausfinde, um was es geht. Angesichts der großen Nachfrage nach Fahrkarten für Weldiya hatte sich die Bus-Crew erdreistet, kurzerhand den Fahrpreis von 25 auf 35 Birr zu erhöhen.

Verärgerte Fahrgäste informierten daraufhin den Verbraucherschutzbeauftragten der örtlichen Polizeistation, der die gesamte Mannschaft mithilfe einiger Uniformierter in Gewahrsam nehmen lies.

Nun stand der Bus alleine da, und die widersprüchlichen Informationen überschlugen sich. Es solle ein Ersatzbus eingesetzt werden, man wäre auf der Suche nach einem anderen Fahrer, in 10 Minuten geht’s los, bla bla, etc.

Gegen 9 Uhr hatte ich die Schnauze voll, und die Hoffnung aufgegeben, heute noch wegzukommen, checkte ich wieder ins selbe Hotel ein, das ich vier Stunden zuvor verlassen hatte. Dort holte ich erstmal den fehlenden Schlaf nach.

Als ich nachmittags gegen zwei nochmal am Schauplatz vorbei kam, saßen noch immer rund zwei Dutzend Wartender im mittlerweile nur noch einen halben Meter breiten Schatten des (vielleicht) nächsten Busses nach Weldiya. Ich begab mich schließlich zum Flugplatz, um die zeitsparendere, aber wesentlich kostspieligere Variante der Reise nach Aksum zu wählen. Wann der Bus letztendlich auf die Reise ging, habe ich nicht mehr herausgefunden.

Marktplatz in der Provinz Schulkinder Musikladen

 

Sprachkenntnisse

Tennaystillin! Grundsätzlich, aber vor allem in touristisch weniger erschlossenen Regionen, empfiehlt es sich auf Reisen, mit ein paar Brocken der Landessprache aufwarten zu können. Ich habe mir also gleich zuhause noch einen Amharisch-Sprachführer und eine dazugehörige Audio-Cassette besorgt. Schon bald konnte ich mich mit essenziellen Phrasen wie “Wo geht’s denn zur Post?” oder “Wie viele Tabletten soll ich hiervon einnehmen?” behaupten.

Und wie es sich für einen ordentlichen Touristen gehört, verbringe ich meine Zeit mitunter damit, mir in sengender Mittagshitze archäologisch bedeutsame Steinhaufen anzuschauen. So begab es sich, dass ich mit staubiger Kehle eine Bar betrat.

Übung macht den Meister, dachte ich mir, und so verlieh ich meinem Verlangen mit den Worten “Ant birra iffadigallahu” Ausdruck. Die Schönheit hinter der Theke sah mich daraufhin mit ihren großen braunen Augen fragend an: “Möter?” (Anmerkung: “Möter” ist eine der Inkarnationen des Autors).

Wie vom Blitz getroffen, schossen mir wirre Gedanken durch den Kopf, wie etwa “Sind wir uns in einem früheren Leben schon einmal begegnet?” oder “Hat ihr vielleicht die Wahrsagerin von meinem Kommen berichtet?”. Nach einer rhetorischen Pause von zwei Sekunden (gefühlten acht Minuten) nicke ich zustimmend mit dem Kopf, worauf sie mir eine eiskalte Flasche Bier in die Hand drückt. Gedanken lesen kann sie also auch noch!

Mit einem Grinsen im Gesicht sinke ich zufrieden in einen der noch freien Plastiksessel. Nach einem kräftigen Schluck betrachte ich das Etikett auf der Flasche: Darauf steht zu lesen: Meta Beer – Produce of Ethiopia.

Sei’s drum, ich glaube wieder an die Liebe auf den ersten Blick. Das passiert mir nämlich zurzeit so ungefähr zwei-, dreimal täglich.

 

Im Café Kleine Schönheit Mittagspause

 

Durchs Simien-Gebirge

Die Strecke von Aksum nach Gondar beträgt 360 km und geht mitten durchs Simien-Gebirge (mit dem 4545 m hohen Ras Dashen die höchste Erhebung des Landes), und ist in gut zwei Tagen zu bewältigen. Das erste Teilstück bis Inda Selassie (Provinz Shirie) bereitet keine größeren Schwierigkeiten. In diesem staubigen Provinznest wird erst einmal übernachtet. Direkt am Busbahnhof versteht sich, denn bereits im Morgengrauen soll es weitergehen.

Die bescheidene Herberge ist sauber und verfügt über einen gastronomischen Betrieb. Und hier ist es auch, wo ich meine erste Kaffeezeremonie erleben durfte. Die Kaffeezeremonie gilt als wichtiges gesellschaftliches Ereignis.Vollzogen wird sie üblicherweise von der Mutter oder einer der älteren Töchter des gastgebenden Hauses. Eingeladen werden Freunde, Nachbarn – und auch mal ein Durchreisender.

Über einer kleinen Feuerstelle mit Holzkohle werden in einer flachen Pfanne die Kaffeebohnen geröstet und anschließend mit zwei abgerundeten Steinen gemahlen. Der sich dabei freisetzende Kaffeeduft ist unbeschreiblich intensiv. Der Kaffee wird in einem Tonkrug mehrfach aufgebrüht und schließlich in kleinen Tässchen zusammen mit Popcorn serviert. In die noch glühenden Kohlen wird nun Weihrauch gegeben, wodurch der Raum bald nach einer eigenartigen Melange aus Incense und Kaffee duftet.

Nach drei Runden doppeltem Espresso ist jeder Tote wieder zum Leben erweckt, und es wird zu äthiopischer Popmusik getanzt, wobei hauptsächlich mit Kopf und Schultern gewackelt wird. Die Musik erinnert in ihrer Struktur ein wenig an die Klänge wie sie in Ägypten, Nubien und dem Sudan zu hören sind (vgl. Abdel Halim Hafez, Ali Hassan Kuban).

Mittlerweile ist ein zweiter Reisender eingetroffen: Bob, ein 54-jähriger Haudegen aus Las Vegas, der im wahrsten Sinne des Wortes “eine Weltreise macht” und mir bei ein paar Runden St. George Beer unzählige Argumente dafür liefert, warum man ab 40 nicht mehr arbeiten sollte. Wenn man sich das rechtzeitig zum Ziel mache und die Weichen entsprechend stelle, wäre das locker machbar. Schön fand ich auch seinen Vergleich unserer Industriegesellschaft mit einem Hamsterkäfig: Fressen, schlafen und ziellose Runden im Laufrad drehen…

Glücklicherweise erwies sich der Heilige Georg gnädig und beschwerte mir keine Kopf- oder Magenschmerzen, und so konnte die zweite Etappe gelassen in Angriff genommen werden. Um 5.30 Uhr sollte es losgehen – so stand es zumindest auf dem Ticket – allerdings dauerte es bis 7.30 Uhr bis das gesamte Gepäck verstaut und die Fahrgäste in den klapprigen Bus hineingepfercht waren. Vor Sonnenaufgang ist es hier zudem noch ziemlich kalt, und für einen kurzen Augenblick stellte ich mir die Frage, wozu ich denn das alles auf mich nehme. Andere Leute fahren schließlich auch in Urlaub, und legen dabei vor allem Wert auf Komfort und Bequemlichkeit. Sollen sie doch!

Bald aber schon zeigte sich, dass ich von den anderen Passagieren herzlich aufgenommen wurde. Mein Status als Farengi (amharisch für Gringo, farengi = foreigner) brachte mir den vorteilhaften Platz vorne rechts neben dem Fahrer ein. Bei den zahlreichen Tee- und Pinkelpausen beantwortete ich immer wieder aufs Neue dieselben Fragen und werde stets zu Freigetränken eingeladen.

Wieder im Bus machte ich es mir vorne im Cockpit bequem, während mich die beiden Gepäck-Fritzen mit reichlich Qat (Kat, Chat) versorgten. Die Blätter dieser im äthiopischen Hochland und in Südarabien heimischen Kulturpflanze werden so lange gekaut, bis sich ein zunächst bitterer, aber zunehmend angenehmer schmeckender Sud bildet. Das ganze wirkt leicht narkotisierend und bekämpft das Hungergefühl. Aufgrund eines früheren Aufenthalts in einem jemenitischen Ausbildungslager konnte ich mit Fachsimpelei über Qualität und Herkunft der Blätter überzeugen und selbst dem etwas verschlossen wirkenden Fahrer ein Lächeln entlocken.



Kaffeezeremonie Versorgung mit Qat im Bus Marktweiber

 

Irgendwie lustig war dann auch die Situation, als sich ein muslimischer Händler dazugesellte und – ebenso die Backen mit Qat vollgestopft – mir in gebrochenem Englisch versuchte, die Vorzüge des Islam näher zu bringen. Zu verstehen war kaum etwas, doch durch geschicktes Einstreuen zufällig ausgewählter Schlagwörter wie “Mekka” oder “Mohammed” konnte ich mein Interesse bekunden und zu seiner Zufriedenheit beisteuern.

Mittlerweile schraubten wir uns über Serpentinen auf Passstraßen auf etwa 3000 m in die Höhe. Alleine die Aussicht auf die grandiose Bergwelt war die Strapazen der Fahrt schon wert und dem zweifelsohne bequemeren Inlandsflug vorzuziehen. Auf ein paar andere Programmpunkte dieser “All inclusive”-Reise hätte ich aber gerne verzichtet: z.B. auf sich übergebene Frauen, den geplatzen Hinterreifen und die damit verbundene Zwangspause jenseits von einem einzigen Zentimeter Schatten, oder die gleichmäßig auf Gesicht und Kleidung verteilte rotbraune Staubschicht. Etwa eine Stunde vor Erreichen des Zielortes ging uns dann auch noch der Sprit aus. Ein entgegenkommender Lkw konnte aber noch etwas entbehren, und so kamen wir nach 12 erlebnisreichen und unterhaltsamen Stunden in der Provinzhauptstadt Gondar an.

Der muslimische Geschäftsmann half mir noch bei der Zimmersuche und sorgte dafür, dass ich keinen Touristenpreis zahlen musste. Aus dem Date mit der 21-jährigen Studentin, mit der ich unterwegs zusammen zu Mittag gegesen hatte, wurde aber leider nichts. Unter der Telefonnummer, die sie mir gegeben hatte, erreichte ich nur ihre Mutter, die mir wiederholt mitteilte, dass Frwoyne lernen müsse und keine Zeit hätte. Schade. Aber dafür macht sie bestimmt einen guten Abschluss.

In Gondar besuchte ich die Festlichkeiten zum Timkat-Fest, an dem die Taufe Jesu gefeiert wird. Zusammen mit Ostern und Weihnachten ist das der höchste Feiertag im äthiopisch-orthodoxen Kalender. Es gibt eine Prozession quer durch den Ort, bei der quasi die ganze Stadt auf den Beinen ist und hohe Geistliche von Klosterschülern, Trommel- und Bläsergruppen sowie Gläubigen in festlicher Kleidung begleitet werden.

 

Kaffeepause in geselliger Runde Prozession zum Timkat-Fest In der Bar

 

Über die Zeit

Heute, am 1. Februar 2005, schreiben wir in Äthiopien den 24.5.1997. Hier wird nämlich der Julianische Kalender verwendet. Demnach hat das Jahr 13 Monate: Zwölf Monate á 30 Tage sowie einen Monat mit 5 bzw. 6 Tagen (Schaltjahr).

Damit nicht genug. Auch die Uhr wird anders gelesen. Man verwendet ein 12-Stunden-System, wonach der Tag und die Nacht in jeweils zwölf Stunden eingeteilt werden. Der Tag beginnt nach der uns bekannten Zählweise um sechs Uhr morgens und endet um sechs Uhr abends, wenn die Nachtzählung beginnt. 3 Uhr äthiopischer Zeit entspricht also 9 Uhr unserer Zeit (ob Tag oder Nacht muss natürlich dazugesagt werden). Um also die korrekte “internationale” Zeit zu erhalten, kann man entweder einer beliebigen äthiopischen Zeit sechs Stunden hinzuzählen oder die gegenüberliegenden Zahlen auf dem Zifferblatt miteinander tauschen (z.B. die 11 gegen die 5. Denn 5 Uhr äthiopischer Zeit entspricht 11 Uhr internationaler Zeit).

Dieses System wird übrigens auch in weiteren Ländern Ostafrikas verwendet, so etwa in Kenia und Tansania.

Verwirrend? Alles nur eine Sicht der Dinge…

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