This is Anfield

Eine Eintrittskarte für ein Heimspiel des FC Liverpool zu ergattern, kommt in etwa einem Lottogewinn gleich. Naja, vielleicht übertreibe ich ein wenig, und die Chance auf sechs Richtige ist tatsächlich größer. Die Reds zählen in Europa zu den Clubs, die weit mehr Fans haben als Plätze im Stadion an der Anfield Road zur Verfügung stehen. Selbst in Madrid und Barcelona kommt man leichter an Karten (mit Ausnahme der Partie, in der sie direkt aufeinander treffen). Jahreskarten werden nur begrenzt ausgegeben und in der Regel auch vererbt. Lässt man sich auf die Warteliste setzen, muss man mit etwa 10 bis 12 Jahren Wartezeit rechnen. Und an die überteuerten Hospitality-Tickets kommt man als Normalsterblicher ohnehin nicht ran.

Trotz allem gibt es für jedes Spiel ein gewisses Kontingent, das in den freien Verkauf geht. Um da zum Zuge zu kommen, muss man sich zunächst beim Verein registrieren lassen und eine Fan Card, eine Art Clubausweis, beantragen, um damit das Recht auf einen Kartenkauf zu erwerben. Und dann gilt es zu Beginn des jeweiligen Vorverkaufs drei Wochen vor Spieltermin kräftig in die Telefon- bzw. Computertasten zu hauen. Erfahrungsgemäß bricht der Server des Ticket Office eine halbe Stunde vor Startschuss wegen Überlastung zusammen. Und wie ich aus diversen Fan-Foren erfahren habe, hängt so mancher 4 bis 5 Stunden in der telefonischen Warteschleife, nur um dann eine Ansage vom Band zu hören, dass das Spiel schon ausverkauft ist.

Doch davon ließ ich mich nicht abbringen, es trotzdem zu versuchen. Schließlich hatte ich es sogar bei der WM 2006 viermal ins Stadion geschafft, und dabei zwei Deutschland-Spiele gesehen. Zunächst sah es gar nicht gut aus: Selbst Partien gegen Aufsteiger wie Derby County oder Birmingham City waren in wenigen Minuten ausverkauft, ohne dass ich auch nur einmal in die Nähe des Online-Ticketformulars gekommen wäre. Doch am Morgen des 14. November war es endlich soweit. Diesmal mit vereinten Kräften: h2jr kam schließlich durch und sicherte uns zwei Tickets für den Main Stand, gleich neben dem Gästeblock der Bolton Wanderers. Minutenlang war ich wie benommen. Auch wenn ich nicht wirklich glaube, dass es einen Fußballgott gibt, so war ich in diesem Moment von der Existenz des Fußballfan-Gottes überzeugt.

Mit easyjet ging’s dann drei Wochen später direkt nach Liverpool (John Lennon Airport). Genächtigt wurde im Formule 1 Hotel, der englischen Antwort auf japanische Kapselhotels. Da unser Match erst am Sonntag stattfinden sollte, nutzten wir am Vortag bereits die Gelegenheit in Wigan etwas Premier-League-Luft zu schnuppern. In der Rugby-Hochburg, einem der wenigen Orte Englands, wo Fußball nur die zweite Geige spielt, hatten die Latics im JJB Stadium die ungeliebten Nachbarn von Manchester City zu Gast. Diese brachten einen rund 6000 Mann zählenden lautstarken Support mit und stellten damit rund ein Drittel des Publikums. Nach nur 24 Sekunden gingen die Gäste aufgrund eines katastrophalen Abwehrschnitzers in Führung. Das Team des letzten Torschützen im alten Wembley, Didi Hamann, konnte aber letztendlich den verdienten Ausgleich durch Österreichs EM-Hoffnung und Publikumsliebling Paul Scharner nicht mehr verhindern, und so trennte man sich 1:1. Und Wigan’s Holländer Melchiot flog nach einer rüden Attacke in der letzten Minute noch vom Platz.

Mit dem Nahverkehrszug fuhren wir dann bei Regen in einer guten dreiviertel Stunde zurück nach Liverpool, wo wir uns nach einer Stärkung mit Fish and Chips in die Mathew Street aufmachten, dem Zentrum des nächtlichen Geschehens, wo wir uns unter anderem im legendären Cavern Club die Zeit vetrieben. Als Beatles- und Fußball-Fan kommt man in Merseyside jedenfalls voll auf seine Kosten. Am nächsten Vormittag dann noch ein schneller Besuch im Beatles-Museum im Albert Dock, aber dann setzte schon wieder dieses Kribbeln ein, das Fußballfieber, wie man es eben vor großen Spielen bekommt.

Der Gegner hieß zwar nur Bolton Wanderers, Vorletzter der Premier League, dieser hatte aber als UEFA-Cup-Teilnehmer immerhin den Bayern auswärts ein 2:2 abgerungen und zudem am vorangegangenen Spieltag Man Utd 1:0 geschlagen. Frühzeitig waren wir mit dem Bus zur Anfield Road gefahren, um auch genügend Atmosphäre aufzusaugen. Leider goss es zunächst in Strömen. Aber so ist das eben im englischen Winter: Sehr wechselhaft. Auf Wind und Regen kommt auch wieder Sonne.

Nachdem wir dem Hillsborough Memorial einen Besuch abstatteten, im Fanshop unseres Weihnachtsgeldes entledigten, und den Ground aus allen Winkeln abgelichtet hatten, begaben wir uns auf unsere Plätze. Leider nicht in The Kop, der berühmtesten Fankurve der Welt, sondern im alten Main Stand auf der Gegengerade, aber beklagen möchte ich mich nun wirklich nicht. Bei der Vereinshymne “You’ll never walk alone” läuft es einem kalt den Rücken hinunter. Zu den Schlussakkorden kommen dann die Mannschaften aufs Feld.

Wir bekommen eine dominante Vorstellung der Hausherren zu sehen. Die Trotters kommen eigentlich nur einmal gefährlich vor das gegnerische Tor, als es Anelka fertig bringt, freistehend aus 10 Metern den Ball am Tor vorbeizuschieben. Zur Halbzeit steht es nach Toren von Sami Hyppiä und Fernando Torres 2:0, Steven Gerrard erhöht in der zweiten Hälfte nach einem Foul an Peter Crouch per Elfmeter, bevor Ryan Babel das 4:0 besorgt. Eine klare Angelegenheit, bei der Gerrard und Torres die überragenden Akteure waren.

Liverpool: Reina, Arbeloa, Hyypiä, Carragher (Hobbs 51), Riise, Benayoun, Gerrard, Lucas, Kewell (Babel 67), Torres (Kuyt 76), Crouch.
Subs Not Used: Itandje, Mascherano.

Bolton: Jaaskelainen, Samuel, Meite, Michalik, Gardner, McCann, Campo, Speed, Davies, Anelka, Diouf (Giannakopoulos 66).
Subs Not Used: Al Habsi, Wilhelmsson, Teymourian, Alonso.

Goals: Hyypiä 17, Torres 45, Gerrard 56 pen, Babel 86.

Booked: Diouf, Campo, Michalik.

Att: 43,270
Ref: Steve Bennett (Kent)

6 Gedanken zu “This is Anfield

  1. Da wird man ja grün vor Neid…
    Wie gerne wäre ich dabeigewesen. Allein das “english breakfast” sieht sehr lecker aus. Und einmal “Steve Gerrard, Gerrard” im Oroginal zu hören wäre bestimmt auch erinnerungswürdig.
    Egal – hauptsache Ihr beiden hattet eine schöne Zeit und vllt. klappt das ja mit Cam Nou…

    Löwengrüße und guten Rutsch

    Hendrik

    P.S.: Ich vergass – ESTER!!!!

  2. Soll natürlich ERSTER heißen und bezieht sich darauf, daß ich als 1er hier einen Kommentar geschrieben habe. Problem ist, daß ich immer noch nicht online in meiner neuen Wohnung bin. Und der Laptop meines Vadders hat eine dermaßen schlechte Tastatur, daß ich mich pro Satz 5mal vertippe. Wo ist mein Gravatar?
    Hendrik

  3. Sers Möller,

    Feine Sachen machst Du da…
    … An Guaden im neia Jahr!

    Illchen

  4. Pingback: Schließe die Augen vor dieser Stadt | h2jr

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