Wer als ausländischer Tourist während der WM 2006 erstmalig nach Deutschland kam, war wohl ziemlich positiv überrascht ob der guten Stimmung im Lande und der Feierlaune der Einheimischen. Ähnlich erging es mir in den vergangenen Wochen während meines Besuches in Ghana zur 26. Afrikameisterschaft. Die Ghanaer mögen auch sonst freundliche und ehrliche Menschen sein, doch die Ausrichtung dieses Großereignises, auf die man im Übrigen sehr stolz war, versetzte die ganze Nation in eine dreiwöchige Phase der Euphorie und Begeisterung. Selbst das Ausscheiden der Gastgeber im Halbfinale (eine weitere Parallele zur letzten WM!) konnte die gute Laune nicht wirklich stoppen.
Rund eine Million Besucher kamen nach Ghana, um an diesem Spektakel teilhaben zu können. Die meisten davon aus benachbarten Ländern wie Cote d’Ivoire, Nigeria und Benin. Aber ich traf auch einige Leute aus Guinea, Mali, Kamerun, Namibia und Ägypten. Und dann waren da natürlich auch einige Fußballbegeisterte aus Europa, vor allem aus Deutschland und von den britischen Inseln. Dass sich aber soviele “Obruni” (Weiße) für den Afrika-Cup interessieren kam für viele Einheimische überraschend, was aber auch eindeutig den Stellenwert unterstreicht, den der afrikanische Fußball mittlerweile innehat. Die meisten der großen Stars spielen bekanntlich in England und Frankreich, aber auch einige Vertreter aus der Bundesliga (und niedrigeren Spielklassen) mischten mit.
Und so kam es, dass sich Fans aus Nottingham, Leeds, Derby, Cardiff über Portsmouth, Ipswich, Dublin und Glasgow bis hin nach Braunschweig, Magdeburg, Nürnberg und Wien an einem Tisch zu dem einen oder anderen Bier vor (und nach) dem Spiel trafen. Und ich als Sechzger mittendrin. Sogar einen Roten hatten wir mal dabei. Im heimischen Ligabetrieb oder gar bei einer Europameisterschaft einfach unvorstellbar. Ein ganz besonderer Charakter war Alessandro, seines Zeichens leidenschaftlicher Anhänger des SSC Napoli, mit dem ich mich zwar nicht auf eine einvernehmliche Analyse der vergangenen WM einigen konnte, der aber seit den Neunziger Jahren ein auch für Italiener seltenes Hobby pflegt: Länderspiele Kameruns zu besuchen, ganz gleich wo.
Abgesehen vom Fußballgeschehen, das ganz klar im Vordergrund stand, nutzte ich natürlich die Gelegenheit, dieses faszinierende Land Westafrikas kennenzulernen. Das Klima ist erwartungsgemäß tropisch, bei einer an eine Waschküche erinnernde Luftfeuchtigkeit von über 90% und Temperaturen zwischen nachts 25 und tagsüber 35 Grad. Das Sightseeing in der Hauptstadt Accra kann man sich schenken, da es quasi nichts wirklich Sehenswertes gibt. Dafür ist das Nachtleben umso aufregender, mit zahlreichen Bars, Musik-Kneipen und Discos. Ein erstes Highlight war aber sicherlich die Live-Band, die in der Ankunftshalle des internationalen Flughafens Kotoka noch vor der Passkontrolle die ankommendenen Passagiere mit schwungvollen Melodien begrüßte: “It’s football time, welcome to Ghana!” oder so ähnlich. Bei der Rückkehr nach Frankfurt wurden wir übrigens direkt am Flugzeug von Drogensuchhunden und eifrigen Bundesgrenzschutzbeamten empfangen.
Quartier bezog ich im freundlichen Hansonic Hotel im Westen der Stadt, gleich hinter dem ständig Verkehrchaos-verursachenden Kaneshie Market. Da es mir dort gut gefiel (vernünftige Zimmer zu niedrigen Preisen, gutes Essen und ein schattiger “Biergarten”), nutzte ich diese Herberge als Basislager, zu dem ich von diversen mehrtägigen Exkursionen immer wieder zurückkehrte.
Nach dem Eröffnungsspiel im restlos ausverkauften Ohene Djan Sports Stadium in Accra, das Ghana mit 2:1 gegen Guinea für sich entschied, stand Kumasi auf dem Plan, Zentrum der Ashanti-Region. Als zuverlässiges Transportunternehmen gilt STC Intercity, und so begab ich mich frühmorgens zum entsprechenden Busbahnhof, um mich auf die voraussichtlich 4- bis 5-stündige Fahrt zu machen. Der 7-Uhr-Bus war leider schon voll, sodass ich ein Ticket für den nächsten um 8.30 Uhr löste. Ich hatte ja genug Zeit. Noch. Es wurde neun, halb zehn, aber weit und breit kein Bus nach Kumasi. Zumindest blieb Zeit, um mich an diversen Ständen mit Frühstück zu versorgen (Beef pastries, Plantain chips, Malzbier…) und mich mit einigen Leidensgenossen auszutauschen, die ebenfalls pünktlich zum Anstoß um 17 Uhr im Stadion von Kumasi sein wollten. Darunter Jari aus Finnland und Gary aus Wales, mit denen ich später dasselbe Hotel bezog, sowie ein Pressefotograf aus Kamerun, der schon um seinen Job bangte, wenn er keine Bilder vom ersten Auftritt der “unzähmbaren Löwen” liefern würde. Schließlich kam dann doch noch ein Bus – im Übrigen gar kein schlechter, mit Klimaanlage und ausreichend Beinfreiheit – und gegen Viertel nach zehn verließen wir Accra. Die Strecke nach Kumasi ist allerdings von Baustellen gesäumt, was unweigerlich zu Staus führte und die Fahrzeit auf etwas über sechs Stunden verlängerte. Nach Erreichen der Stadtgrenze Kumasis, mit dem Stadion in Sichtweite, wurde mir bewusst, dass das Verkehrschaos hier noch eine Stufe schlimmer ist als in der Hauptstadt.
Gegen halb fünf checkten wir ins erstbeste Hotel am Busbahnhof ein und nahmen ein Taxi zum Stadion, das nach zwei Kilometern abermals im Verkehr stecken blieb. Schließlich folgten wir dem guten Rat des Taxifahrers, “Better you run”, und kamen gerade noch rechtzeitig, um an den Stadiontoren VIP-Tickets für $15 zu ergattern. Im Laufschritt zur Haupttribüne, Platz genommen, tief durchgeatmet, Blick aufs Spielfeld gerichtet – Anstoß! Wir hatten es geschafft. Auswärtsspiel in Kumasi. Titelverteidiger Ägypten gegen Mitfavorit Kamerun. Zu meinem Glück kam auch gleich ein Wasserverkäufer vorbei. Die 1,5-Liter-Pulle leerte ich in Rekordzeit. Die Hitze, gepaart mit der sportlichen Anreise, hatte meinem System ziemlich zugesetzt. Und wie überall in Ghana, ist auch im Stadion eine Portion Chicken & Rice nicht weit – ich hatte ja außer ein paar Snacks am frühen Morgen noch nichts zu mir genommen. Das Spiel wurde klar von den Ägyptern dominiert, die Kamerun mit 4:2 fast schon deklassierten. Zu diesem Zeitpunkt rechnete niemand damit, dass ausgerechnet diese beiden Teams fast drei Wochen später im Endspiel erneut aufeinandertreffen würden. Das VIP-Ticket ermöglichte mir übrigens Zutritt zum Spielerausgang, wo ich mit Ausnahme von Barcelonas Stürmerstar Samuel Eto’o, der noch in der Pressekonferenz war, sämtliche Mitglieder der kamerunischen Equipe samt Otto Pfister gesenkten Hauptes den Mannschaftsbus betraten sah.
Mittlerweile war es dunkel geworden, und die zweite, zugegebenermaßen weniger attraktive Begegnung des Abends stand an: Sudan gegen Sambia. Über das Stadion senkte sich ein gruseliger Nebel, der auf die sich abkühlende feuchte Luft zurückführen lässt. Optisch erinnerte das an einen ungemütlichen Novemberabend in der Heimat, herrschten da nicht Temperaturen um die 30 Grad. Das unterhaltsame Spiel bescherte uns drei weitere Tore, allesamt für Sambia. Die Strapazen der Anreise hatten sich gelohnt.
Während Kumasi hinsichtlich Betriebsamkeit die Hauptstadt tagsüber locker in den Schatten stellt, ist es nachts umso ruhiger. Wäre da nicht der Afrika-Cup mit all seinen Besuchern gewesen, hätte man sich wohl in einer Geisterstadt gewähnt. Der nächste Tag gestaltete sich dann weitaus entspannter, mal vom Wahnsinn des größten Marktes Westafrikas (Kejetia Market) abgesehen.
Der nächste Ausflug brachte mich nach Cape Coast, mit einem der größten Sklavenforts der Goldküste, und in den Kakum-Nationalpark, dessen Hauptattraktion der Canopy Walkway ist: eine rund 350 Meter lange, mit Seilen gesicherte Fußgänger-Hängebrücke, die 40 Meter über dem Boden des Waldes gespannt ist. Unterwegs gibt’s an den Bäumen kleine Aussichtsplattformen, die nicht nur einen einzigartigen Blick auf den tropischen Regenwald bieten, sondern vor allem auch die Möglichkeit durchzuschnaufen, sich wieder zu sammeln und sich den Schweiß von der Strirn zu wischen. Es handelt sich dabei nämlich um eine ziemlich wackelige Angelegenheit, die ganz sicherlich nichts für Leute mit Höhenangst ist!
Mit Sekondi besuchte ich den dritten der insgesamt vier Spielorte (Tamale im hohen Norden ließ ich aus). Ich schloss mich einer Gruppe deutscher Groundhopper an, die einen klimatisierten Minivan gechartert hatten, der uns ohne Umwege schnell und direkt ans Ziel brachte. In Sekondi war die Gruppe B zu Gast, mit Nigeria, Elfenbeinküste, Mali und Benin rein westafrikanisch besetzt. Nur etwa 130 km von der ivorischen Grenze entfernt, waren auch entsprechend viele Fans der “Elephants” angereist. Ich hatte zudem das Vergnügen, mir auf der Tribüne den Platz mit einer ivorischen Blaskapelle zu teilen. Die vier Tore gegen Benin trugen zusätzlich zur guten Stimmung bei. Aber auch die Nigerianer wussten zu feiern, wenn sie auch nur ein mageres 0:0 gegen Mali zustandebrachten.
Nach ein paar erlebnisreichen, aber anstrengenden Tagen war zurück in Accra erstmal wieder Erholung angesagt. Ausschlafen, essen, spazierengehen… Das nächtliche Ausgehen kann dort richtig Spaß machen, zahlreiche gute “Spots” (so heißen hier die Kneipen), allenorts Musik (darunter auch einige Live-Clubs) und Diskotheken mit Frauenüberschuss. Zudem ist es in Accra für eine afrikanische Großstadt selbst nachts ziemlich sicher. Man kann getrost umherstreunen, ohne Angst um Leib und Portmonnaie haben zu müssen. Für längere Strecken empfiehlt sich trotzdem ein Taxi zu nehmen. Eine Stadtfahrt kostet nicht mehr als 3 Euro.
Im Viertelfinale standen sich dann Ghana und Nigeria gegenüber. Eine Begegnung, die in Afrika Emotionen hervorruft, wie man sie hierzulande vor Partien wie Deutschland – England kennt. Allerdings ganz ohne Krawalle oder Ausschreitungen. Das Spiel allerdings hatte es in sich. Nigeria ging nach einem umstrittenen Elfmeter 1:0 in Führung, Ghana glich mit dem Pausenpfiff aus, und im Stadion wurde die gesamte Halbzeitpause hindurch gefeiert, als hätte man die Meisterschaft schon gewonnen. In der 60. Minute flog der ghanaische Kapitän John Mensah vom Platz und Nigeria drängte auf Sieg. Acht Minuten vor Schluss erzielte dann Junior Agogo vom englischen Drittligisten Nottingham Forest das spielentscheidende 2:1 und erlöste die Gastgeber. Was sich im Anschluss auf den Straßen Accras tat, ist schlichtweg unbeschreiblich. Eine Stadt im Ausnahmezustand.
Zwischenzeitlich fuhr ich noch in die Volta-Region im Osten des Landes: bergige Landschaft, staubige Pisten, Wasserfälle und beschauliche Kleinstädte. In Ada Foah, an der Mündung des Flusses Volta, nächtigte ich in einer Bambushütte als einziger Besucher eines Beach Camps, das nur auf dem Seeweg zu erreichen ist. Einen etwa 2 km langen Sandstrand hatte ich somit alleine für mich. Einfach traumhaft. Mit der Köchin, der ich eine leckere Portion Fisch in scharfer Tomatensoße mit frittierten Yam Balls verdanke, und dem Nachtwächter saß ich noch bis spät in die Abendstunden am Lagerfeuer am Strand. Wir hatten uns viel zu erzählen. Die restlichen Tage verbrachte ich damit, mit einer Fähre die Seitenarme des Flusses abzufahren und kleine Dorfmärkte besuchen.
Nachdem Ghana im Halbfinale gegen Kamerun 0:1 unterlag, war die Euphorie erst mal ein wenig gebremst. Doch bald schon war der Schmerz überwunden, und das spätestens nach dem glanzvollen Auftritt gegen die Elfenbeinküste im Spiel um den 3. Platz. Insgesamt taten diese drei Wochen nicht nur mir gut, sondern vor allem auch dem Land. Und viele Besucher, die sonst wohl nie den Weg hierher gefunden hätten, konnten sich von der Herzlichkeit der Ghanaer überzeugen.
Und fürs Endspiel bekam man problemlos Tickets zu rund 7 Euro.
Hier noch eine Übersicht aller 12 Partien, die ich besuchte:
Ghana – Guinea 2:1 (Gruppe A, Accra)
Ägypten – Kamerun 4:2 (Gruppe C, Kumasi)
Sudan – Sambia 0:3 (Gruppe C, Kumasi)
Guinea – Marokko 3:2 (Gruppe A, Accra)
Ghana – Namibia 1:0 (Gruppe A, Accra)
Elfenbeinküste – Benin 4:1 (Gruppe B, Sekondi)
Nigeria – Mali 0:0 (Gruppe B, Sekondi)
Ghana – Marokko 2:0 (Gruppe A, Accra)
Elfenbeinküste – Mali 3:0 (Gruppe B, Accra)
Ghana – Nigeria 2:1 (Viertelfinale, Accra)
Ghana – Kamerun 0:1 (Halbfinale, Accra)
Kamerun – Ägypten 0:1 (Finale, Accra)
Alle Fotos und Videos könnt ihr euch online anschauen.
Sers Michael,
obwohl ich auf meinen Reisen bis jetzt immer einen Bogen um Afrika gemacht habe (Marokko, Ägypten und Südafrika mal ausgenommen), kann ich mir nach deinem Reisebericht durchaus vorstellen “Schwarzafrika”, respektive Ghana, einmal zu besuchen.
Vor allem Ada Foah, bzw. die Lage und die Abwesenheit von Massentourismus, sind so genau mein Ding. Lustig finde ich das Photo, den genauso einen Platz habe ich mal in Belize gefunden. Inklusive der Palapa (span. für so eine Palmhütte). Schau mal hier:
http://www.gallery2.witterstaetter.de/main.php?g2_itemId=896
Sieht doch sehr ähnlich aus, auch der ewig lange Sandstrand und auch die langen Gespräche / Feiern mit Einheimischen.
Lustig fande ich vor allem der Reisebericht und oder die Beschreibung der Problematik der öffentlichen Verkehrsmittel /-möglichkeiten. Auch wenn es immer irgendwie klappt, so ist das Reisen Überland doch immer wieder das Spannendste an so einem Trip. Natürlich inklusive überfüllter Busse, stundenlanges singen und Mitnahme von irgendwelchem Viehzeugs. Ganz zu schweigen von abstrusen Haltepunkten im Nirgendwo, deren Gründe sich mir auch in 100 Jahren nicht erschließen werden.
Klasse auch deswegen weil ein “Traveller”, entgegen aller sonstiger Horronachrichten aus Afrika (natürlich von unseren ach so tollen Medien), einen 100% positiven Bericht des schwarzen Kontinets zeichnet. Immer wieder gerne mehr davon.