İstanbul

Nachdem ich im Januar ein privates Wochenende in Athen aus beruflichen Gründen sausen lassen musste, revanchierte sich das Schicksal kurz darauf mit einer Geschäftsreise nach Istanbul. Nach einem Blick auf den Spielplan lief es mir zunächst kalt den Rücken herunter: Das große Stadtderby zwischen Beşiktaş und Galatasaray stand an. Bingo! Zudem ein paar weitere Ligaspiele sowie unter der Woche die UEFA Europa League mit den beiden verbleibenden türkischen Vertretern Gala und Fener zuhause.

Alsbald setzte ich sämtliche Hebel in Bewegung, um an ein Ticket fürs Derby zu kommen. Die anderen Partien sollten vor Ort klarzumachen sein. Dabei lernte ich, dass die Anstoßzeiten in der türkischen Süperlig ziemlich kurzfristig festgelegt werden und der Kartenvorverkauf meist erst 3-4 Tage vor dem Spieltermin startet. Zu meinem Derby-Ticket kam ich dann letztlich ganz unspektakulär und ohne einheimische Hilfe über das Biletix-Kartenportal, über das so ziemlich alle türkischen Clubs ihren Vorverkauf abwickeln.  Das Europacup-Rückspiel von Galatasaray gegen Atletico Madrid hingegen ging erst gar nicht in den freien Verkauf, sodass ich den Besuch am Donnerstagabend im Stadion “Ali Sami Yen” leider streichen musste.

Kasımpaşaspor – Gaziantepspor 3:0 (2:0)

Recep Tayyip Erdoğan Stadyumu, ca. 1.500 Zuschauer
Türkcell Süperlig, 21.02.2010

Los ging’s erstmal am frühen Sonntagnachmittag, mit der Fähre (70 Cent) über den Bosporus hinüber in den europäischen Teil der Stadt nach Beyoğlu. Neben den großen Dreien tummeln sich noch einige kleinere Clubs in Istanbul. Einer davon ist Kasımpaşa. Deren Stadion ist nach dem in diesem Stadtteil geborenen türkischen Ministerpäsidenten benannt, aber viel bemerkenswerter ist die Tatsache, dass es eingebettet in einen Hügel direkt in einem Wohngebiet liegt. Das ist dann auch der Grund dafür, dass man sich nur eine einzige L-förmige Tribüne leisten kann, die sich von der einen Spielfeldseite an der Bergseite bis hinter einer der Torauslinien erstreckt. Die Bewohner der angrenzenden Häuser an den beiden offenen Seiten haben damit beste Logenplätze.

Karten gibt’s an der Tageskasse für 10 Türkische Lira (knapp 5 Euro) und das bei freier Platzwahl, wobei die Kapazität von 9.500 Plätzen nicht mal bei Spielen gegen die größeren Clubs der Stadt voll ausgeschöpft wird. Heute waren es schätzungsweise 1.500 Zuschauer. Zu Gast war das Team aus Gaziantep, unweit der syrischen Grenze. Dennoch brachten diese rund 200 Fans mit, wobei einige davon wohl ohnehin in Istanbul ihr Brot verdienen. Die Partie war ganz unterhaltsam anzusehen, gemütliche Atmosphäre bei Tee und Sonnenblumenkernen, mit einer spielbeherrschenden Heimmannschaft. Insgesamt nichts Besonderes, wären da nicht ein paar fragwürdige Schiedsrichterentscheidungen gewesen.

Beim Stand von 2:0 in der zweiten Halbzeit gibt es Elfmeter für die Gäste und einen Platzverweis gegen den Übeltäter der Gastgeber. Im Handumdrehen kippt die Stimmung auf der Tribüne: Schluss mit dem Sonntagspicknick. Auf dem Platz kommt es unweigerlich zur Rudelbildung mit etwas Geschubse. Es wird viel und lautstark gestikuliert. Der zunehmend bedrängte Schiri nimmt Reißaus und sucht Schutz beim Linienrichter. Und dieser erklärt ihm, dass er da wohl was falsch gesehen hätte. Die Entscheidung wird zurückgenommen: Kein Platzverweis, und auch kein Elfer – was jetzt natürlich wiederum die Gäste erbost. Nicht nur die Spieler, die nun den Unparteiischen umzingeln, sondern auch deren Anhang. Sitze werden aus der Verankerung gerissen und aufs Spielfeld geworfen, einige überklettern die Absperrungen, schubsen Ordner um und laufen in Kamikaze-Manier auf die Heimtribüne zu. Verstärkung in Form von Polizisten in Kampfausrüstung ist aber gleich zur Stelle, und so werden einige aus dem Innenraum abgeführt. Ein kleiner Vorgeschmack auf das große Derby am heutigen Abend? Mir wird etwas mulmig. In der Nachspielzeit fällt das 3:0.

Beşiktaş – Galatasaray 1:1 (0:0)

BJK İnönü Stadyumu, 32.145 Zuschauer (ausverkauft)
Türkcell Süperlig, 21.02.2010

Nur etwa drei Kilometer von Kasımpaşa entfernt liegt das Inönü-Stadion. Über den Taksim-Platz, wo sich die GS-Fans versammelten, ging’s zunächst ins Kazan Beer House. Dieses liegt inmitten des Stadtteils Beşiktaş und bildet das Epizentrum der Party vor dem Spiel. Dort traf ich mich mit Rasim und seinen Kumpels. Lautstark und feuchtfröhlich geht es dort zur Sache, doch viel Zeit blieb nicht. Die gesamte Meute, die sich in und um der Kneipe traf, machte sich gemeinsam auf den Marsch ins etwa 500 Meter entfernte Stadion.

Das Inönü ist ein klassisches Fußballstadion direkt neben dem Dolmabahçe-Palast gelegen, mit Blick auf Bosporus und Moschee – und gleichzeitig das einzige Stadion der Welt, das man von einem anderen Kontinent aus erblicken kann.  Das Polizeiaufgebot rund ums Stadion war erwartungsgemäß groß. Die paar tausend ‘ultrAslan’ aus dem nördlich angrenzenden Viertel Galatasaray wurden gut bewacht, sodass es zu keinerlei Zwischenfällen kam. Im Stadion ist größte Ultra-Gruppierung von Beşiktaş (Çarşı) auf der Kapalı-Tribüne an der Seitenlinie zuhause. Die meisten dort haben Jahreskarten, und die verfügbaren restlichen Tickets gingen offiziell für sage und schreibe 250 TL (rund 120 Euro) über den Tisch. Aber selbst für einen Platz auf der dreistöckigen Hintertortribüne ‘Yeni Açık’ schlug mit knapp 40 Euro zu Buche. Wir fanden im Mittelrang Platz und aufgrund der Enge fragte ich mich, ob da nicht viel mehr als 32.145 Leute im Stadion waren. Selbst die Ordner standen auf den Sitzen. Und obwohl es eigentlich keine Stehplätze gibt, sah man nur ein paar Leute auf der Haupttribüne sitzen.

Die Stimmung war grandios. Beim Einlaufen der Mannschaften entwickelte sich ein nie geahnter Lärmpegel in einem Meer aus Fahnen, Schals und Bengalos. Mit einem Sieg könnte man zum Tabellenführer aufschließen und wieder aktiv um die Meisterschaft mitspielen. In einer hart umkämpften Partie gingen die Gäste in der 68. Minute in Führung. Die rot-gelbe Seite des Stadions tobte. Und bei Einwürfen und Eckbällen der Gäste hagelte es Becher, Feuerzeuge und Münzen in einem Ausmaß, das in Deutschland einen Spielabbruch rechtfertigen würde. Als Beşiktaş acht Minuten vor Schluss den Ausgleich erzielte, bebte die Tribüne und ich fand mich etwa zehn Stufen weiter unten wieder. Nicht auszudenken was wohl geschehen wäre, hätte man noch den Siegtreffer nachlegen können.

Fenerbahçe – Bursaspor 2:3 (2:1)

Şükrü Saracoğlu Stadyumu, ca. 45.000 Zuschauer
Türkcell Süperlig, 22.02.2010

Tags darauf begab ich mich ins modernste und größte Vereinsstadion der Türkei: ins Şükrü Saracoğlu, Heimat von Fenerbahçe. Unweit meines Hotels in Kadıköy auf der anatolischen Seite gelegen, konnte ich bequem zu Fuß hingehen. Das rechteckig mit zwei Rängen angelegte Stadion mutet aufgrund seiner Architektur etwas englisch an und bietet 50.530 Besuchern Platz.

Nachdem Galatasaray am Vortag Punkte liegen ließ, hätte Fener mit einem Sieg die Tabellenführung übernehmen können. Und lange sah es gegen den Tabellendritten Bursa auch so aus. Die beiden Brasilianer Alex and Andre Santos sorgten nach nur 20 Minuten für eine souveräne Führung für das Team von Christoph Daum (2:0 siehe Foto). Noch vor der Halbzeitpause gelang Bursaspor der Anschlusstreffer, und im Laufe der zweiten Hälfte verlor FB zunehmend den Faden. Und es kam wie es kommen musste: In der 85. Minute erzielten die Gäste nach einem indirekten Freistoß den Ausgleich und in der Nachspielzeit schloss man einen Konter souverän zum Auswärtssiegtreffer ab.

Wieder einmal ließen die Fans ihrer Frustration freien Lauf. Die Bursa-Spieler, die sich von den Mitgereisten feiern ließen, kamen sofort unter Dauerbeschuss. Da einem am Eingang so ziemlich alles abgenommen wird, was möglicherweise als Wurfgeschoss verwendet werden könnte (einschließlich Münzen),  flogen diesmal eben Handyakkus und Haustürschlüssel – unglaublich. Was mich aber beim Verlassen des Stadions noch mehr erstaunte, war die Tatsache, dass sich alle Besucher der Hintertortribüne durch gerade mal zwei Tore auf eine einzige Treppe drängen müssen, um ins Freie zu gelangen. Und das bei einem relativ neuen Stadion. Wenn da mal eine Panik ausbricht…

Bukarest, Oktober 2009

2. Oktober 2009
Juventus Bucureşti – Unirea Tărlungeni 2:1
Stadionul Juventus
Rumänien, 3. Liga

4. Oktober 2009
CS Otopeni – FC Bihor Oradea 2:2
Stadionul Otopeni
Rumänien, 2. Liga

4. Oktober 2009
Steaua Bucureşti – Gloria Bistriţa 1:1
Stadionul Ghencea, 8.000 Zuschauer
Rumänien, 1. Liga

4. Oktober 2009
Dinamo Bucureşti – Panduuri Târgu Jiu 1:1
Stadionul Dinamo, 2.500 Zuschauer
Rumänien, 1. Liga

6. Oktober 2009
Rapid Bucureşti II – Victoria Adunaţii Copăceni 3:1
Stadionul Comunal Chitila
Rumänien, 3. Liga

Alaska

Die Fotos meiner Reise nach Alaska und Yukon im Mai 2008 stehen jetzt im neu eingerichteten Fotoalbum zur Verfügung.

cimg2075.JPG

Travelbuddy

Immer wieder höre ich, dass ich doch schon “überall” auf der Welt gewesen wäre. Weit gefehlt: Laut Travelbuddy habe ich bislang gerade mal ein gutes Viertel dieses Planeten bereist.

Ghana 2008 Africa Cup of Nations

Viertelfinale Ghana-Nigeria im Ohene Djan Sports Stadium von Accra

Wer als ausländischer Tourist während der WM 2006 erstmalig nach Deutschland kam, war wohl ziemlich positiv überrascht ob der guten Stimmung im Lande und der Feierlaune der Einheimischen. Ähnlich erging es mir in den vergangenen Wochen während meines Besuches in Ghana zur 26. Afrikameisterschaft. Die Ghanaer mögen auch sonst freundliche und ehrliche Menschen sein, doch die Ausrichtung dieses Großereignises, auf die man im Übrigen sehr stolz war, versetzte die ganze Nation in eine dreiwöchige Phase der Euphorie und Begeisterung. Selbst das Ausscheiden der Gastgeber im Halbfinale (eine weitere Parallele zur letzten WM!) konnte die gute Laune nicht wirklich stoppen.

Rund eine Million Besucher kamen nach Ghana, um an diesem Spektakel teilhaben zu können. Die meisten davon aus benachbarten Ländern wie Cote d’Ivoire, Nigeria und Benin. Aber ich traf auch einige Leute aus Guinea, Mali, Kamerun, Namibia und Ägypten. Und dann waren da natürlich auch einige Fußballbegeisterte aus Europa, vor allem aus Deutschland und von den britischen Inseln. Dass sich aber soviele “Obruni” (Weiße) für den Afrika-Cup interessieren kam für viele Einheimische überraschend, was aber auch eindeutig den Stellenwert unterstreicht, den der afrikanische Fußball mittlerweile innehat. Die meisten der großen Stars spielen bekanntlich in England und Frankreich, aber auch einige Vertreter aus der Bundesliga (und niedrigeren Spielklassen) mischten mit.

Und so kam es, dass sich Fans aus Nottingham, Leeds, Derby, Cardiff über Portsmouth, Ipswich, Dublin und Glasgow bis hin nach Braunschweig, Magdeburg, Nürnberg und Wien an einem Tisch zu dem einen oder anderen Bier vor (und nach) dem Spiel trafen. Und ich als Sechzger mittendrin. Sogar einen Roten hatten wir mal dabei. Im heimischen Ligabetrieb oder gar bei einer Europameisterschaft einfach unvorstellbar. Ein ganz besonderer Charakter war Alessandro, seines Zeichens leidenschaftlicher Anhänger des SSC Napoli, mit dem ich mich zwar nicht auf eine einvernehmliche Analyse der vergangenen WM einigen konnte, der aber seit den Neunziger Jahren ein auch für Italiener seltenes Hobby pflegt: Länderspiele Kameruns zu besuchen, ganz gleich wo.

Ghana-Fans auf dem Weg zum Spiel Beim Eröffnungsspiel mit den Jungs aus Nottingham Im Ohene Djan Stadium von Accra

Abgesehen vom Fußballgeschehen, das ganz klar im Vordergrund stand, nutzte ich natürlich die Gelegenheit, dieses faszinierende Land Westafrikas kennenzulernen. Das Klima ist erwartungsgemäß tropisch, bei einer an eine Waschküche erinnernde Luftfeuchtigkeit von über 90% und Temperaturen zwischen nachts 25 und tagsüber 35 Grad. Das Sightseeing in der Hauptstadt Accra kann man sich schenken, da es quasi nichts wirklich Sehenswertes gibt. Dafür ist das Nachtleben umso aufregender, mit zahlreichen Bars, Musik-Kneipen und Discos. Ein erstes Highlight war aber sicherlich die Live-Band, die in der Ankunftshalle des internationalen Flughafens Kotoka noch vor der Passkontrolle die ankommendenen Passagiere mit schwungvollen Melodien begrüßte: “It’s football time, welcome to Ghana!” oder so ähnlich. Bei der Rückkehr nach Frankfurt wurden wir übrigens direkt am Flugzeug von Drogensuchhunden und eifrigen Bundesgrenzschutzbeamten empfangen.

Quartier bezog ich im freundlichen Hansonic Hotel im Westen der Stadt, gleich hinter dem ständig Verkehrchaos-verursachenden Kaneshie Market. Da es mir dort gut gefiel (vernünftige Zimmer zu niedrigen Preisen, gutes Essen und ein schattiger “Biergarten”), nutzte ich diese Herberge als Basislager, zu dem ich von diversen mehrtägigen Exkursionen immer wieder zurückkehrte.

Kleine Zwischenmahlzeit gefällig? Auf dem Kaneshie-Markt in Accra Teilnehmer der Eröffnungsfeier

Nach dem Eröffnungsspiel im restlos ausverkauften Ohene Djan Sports Stadium in Accra, das Ghana mit 2:1 gegen Guinea für sich entschied, stand Kumasi auf dem Plan, Zentrum der Ashanti-Region. Als zuverlässiges Transportunternehmen gilt STC Intercity, und so begab ich mich frühmorgens zum entsprechenden Busbahnhof, um mich auf die voraussichtlich 4- bis 5-stündige Fahrt zu machen. Der 7-Uhr-Bus war leider schon voll, sodass ich ein Ticket für den nächsten um 8.30 Uhr löste. Ich hatte ja genug Zeit. Noch. Es wurde neun, halb zehn, aber weit und breit kein Bus nach Kumasi. Zumindest blieb Zeit, um mich an diversen Ständen mit Frühstück zu versorgen (Beef pastries, Plantain chips, Malzbier…) und mich mit einigen Leidensgenossen auszutauschen, die ebenfalls pünktlich zum Anstoß um 17 Uhr im Stadion von Kumasi sein wollten. Darunter Jari aus Finnland und Gary aus Wales, mit denen ich später dasselbe Hotel bezog, sowie ein Pressefotograf aus Kamerun, der schon um seinen Job bangte, wenn er keine Bilder vom ersten Auftritt der “unzähmbaren Löwen” liefern würde. Schließlich kam dann doch noch ein Bus – im Übrigen gar kein schlechter, mit Klimaanlage und ausreichend Beinfreiheit – und gegen Viertel nach zehn verließen wir Accra. Die Strecke nach Kumasi ist allerdings von Baustellen gesäumt, was unweigerlich zu Staus führte und die Fahrzeit auf etwas über sechs Stunden verlängerte. Nach Erreichen der Stadtgrenze Kumasis, mit dem Stadion in Sichtweite, wurde mir bewusst, dass das Verkehrschaos hier noch eine Stufe schlimmer ist als in der Hauptstadt.

Gegen halb fünf checkten wir ins erstbeste Hotel am Busbahnhof ein und nahmen ein Taxi zum Stadion, das nach zwei Kilometern abermals im Verkehr stecken blieb. Schließlich folgten wir dem guten Rat des Taxifahrers, “Better you run”, und kamen gerade noch rechtzeitig, um an den Stadiontoren VIP-Tickets für $15 zu ergattern. Im Laufschritt zur Haupttribüne, Platz genommen, tief durchgeatmet, Blick aufs Spielfeld gerichtet – Anstoß! Wir hatten es geschafft. Auswärtsspiel in Kumasi. Titelverteidiger Ägypten gegen Mitfavorit Kamerun. Zu meinem Glück kam auch gleich ein Wasserverkäufer vorbei. Die 1,5-Liter-Pulle leerte ich in Rekordzeit. Die Hitze, gepaart mit der sportlichen Anreise, hatte meinem System ziemlich zugesetzt. Und wie überall in Ghana, ist auch im Stadion eine Portion Chicken & Rice nicht weit – ich hatte ja außer ein paar Snacks am frühen Morgen noch nichts zu mir genommen. Das Spiel wurde klar von den Ägyptern dominiert, die Kamerun mit 4:2 fast schon deklassierten. Zu diesem Zeitpunkt rechnete niemand damit, dass ausgerechnet diese beiden Teams fast drei Wochen später im Endspiel erneut aufeinandertreffen würden. Das VIP-Ticket ermöglichte mir übrigens Zutritt zum Spielerausgang, wo ich mit Ausnahme von Barcelonas Stürmerstar Samuel Eto’o, der noch in der Pressekonferenz war, sämtliche Mitglieder der kamerunischen Equipe samt Otto Pfister gesenkten Hauptes den Mannschaftsbus betraten sah.

Im Stadion von Kumasi An der Brücke über den Volta Ägypten-Kamerun in der Vorrunde (Kumasi)

Mittlerweile war es dunkel geworden, und die zweite, zugegebenermaßen weniger attraktive Begegnung des Abends stand an: Sudan gegen Sambia. Über das Stadion senkte sich ein gruseliger Nebel, der auf die sich abkühlende feuchte Luft zurückführen lässt. Optisch erinnerte das an einen ungemütlichen Novemberabend in der Heimat, herrschten da nicht Temperaturen um die 30 Grad. Das unterhaltsame Spiel bescherte uns drei weitere Tore, allesamt für Sambia. Die Strapazen der Anreise hatten sich gelohnt.

Während Kumasi hinsichtlich Betriebsamkeit die Hauptstadt tagsüber locker in den Schatten stellt, ist es nachts umso ruhiger. Wäre da nicht der Afrika-Cup mit all seinen Besuchern gewesen, hätte man sich wohl in einer Geisterstadt gewähnt. Der nächste Tag gestaltete sich dann weitaus entspannter, mal vom Wahnsinn des größten Marktes Westafrikas (Kejetia Market) abgesehen.

Der nächste Ausflug brachte mich nach Cape Coast, mit einem der größten Sklavenforts der Goldküste, und in den Kakum-Nationalpark, dessen Hauptattraktion der Canopy Walkway ist: eine rund 350 Meter lange, mit Seilen gesicherte Fußgänger-Hängebrücke, die 40 Meter über dem Boden des Waldes gespannt ist. Unterwegs gibt’s an den Bäumen kleine Aussichtsplattformen, die nicht nur einen einzigartigen Blick auf den tropischen Regenwald bieten, sondern vor allem auch die Möglichkeit durchzuschnaufen, sich wieder zu sammeln und sich den Schweiß von der Strirn zu wischen. Es handelt sich dabei nämlich um eine ziemlich wackelige Angelegenheit, die ganz sicherlich nichts für Leute mit Höhenangst ist!

Cote d'Ivoire - Benin im Sekondi Sports Stadium Berti Vogts, noch Trainer von Nigeria Wackelige Hängebrücke im Kakum-Nationalpark

Mit Sekondi besuchte ich den dritten der insgesamt vier Spielorte (Tamale im hohen Norden ließ ich aus). Ich schloss mich einer Gruppe deutscher Groundhopper an, die einen klimatisierten Minivan gechartert hatten, der uns ohne Umwege schnell und direkt ans Ziel brachte. In Sekondi war die Gruppe B zu Gast, mit Nigeria, Elfenbeinküste, Mali und Benin rein westafrikanisch besetzt. Nur etwa 130 km von der ivorischen Grenze entfernt, waren auch entsprechend viele Fans der “Elephants” angereist. Ich hatte zudem das Vergnügen, mir auf der Tribüne den Platz mit einer ivorischen Blaskapelle zu teilen. Die vier Tore gegen Benin trugen zusätzlich zur guten Stimmung bei. Aber auch die Nigerianer wussten zu feiern, wenn sie auch nur ein mageres 0:0 gegen Mali zustandebrachten.

Nach ein paar erlebnisreichen, aber anstrengenden Tagen war zurück in Accra erstmal wieder Erholung angesagt. Ausschlafen, essen, spazierengehen… Das nächtliche Ausgehen kann dort richtig Spaß machen, zahlreiche gute “Spots” (so heißen hier die Kneipen), allenorts Musik (darunter auch einige Live-Clubs) und Diskotheken mit Frauenüberschuss. Zudem ist es in Accra für eine afrikanische Großstadt selbst nachts ziemlich sicher. Man kann getrost umherstreunen, ohne Angst um Leib und Portmonnaie haben zu müssen. Für längere Strecken empfiehlt sich trotzdem ein Taxi zu nehmen. Eine Stadtfahrt kostet nicht mehr als 3 Euro.

Vorbereitung aufs Spiel in Duncan's Spot Finale Kamerun-Ägypten Lautstarker Support für Ghana

Im Viertelfinale standen sich dann Ghana und Nigeria gegenüber. Eine Begegnung, die in Afrika Emotionen hervorruft, wie man sie hierzulande vor Partien wie Deutschland – England kennt. Allerdings ganz ohne Krawalle oder Ausschreitungen. Das Spiel allerdings hatte es in sich. Nigeria ging nach einem umstrittenen Elfmeter 1:0 in Führung, Ghana glich mit dem Pausenpfiff aus, und im Stadion wurde die gesamte Halbzeitpause hindurch gefeiert, als hätte man die Meisterschaft schon gewonnen. In der 60. Minute flog der ghanaische Kapitän John Mensah vom Platz und Nigeria drängte auf Sieg. Acht Minuten vor Schluss erzielte dann Junior Agogo vom englischen Drittligisten Nottingham Forest das spielentscheidende 2:1 und erlöste die Gastgeber. Was sich im Anschluss auf den Straßen Accras tat, ist schlichtweg unbeschreiblich. Eine Stadt im Ausnahmezustand.

Zwischenzeitlich fuhr ich noch in die Volta-Region im Osten des Landes: bergige Landschaft, staubige Pisten, Wasserfälle und beschauliche Kleinstädte. In Ada Foah, an der Mündung des Flusses Volta, nächtigte ich in einer Bambushütte als einziger Besucher eines Beach Camps, das nur auf dem Seeweg zu erreichen ist. Einen etwa 2 km langen Sandstrand hatte ich somit alleine für mich. Einfach traumhaft. Mit der Köchin, der ich eine leckere Portion Fisch in scharfer Tomatensoße mit frittierten Yam Balls verdanke, und dem Nachtwächter saß ich noch bis spät in die Abendstunden am Lagerfeuer am Strand. Wir hatten uns viel zu erzählen. Die restlichen Tage verbrachte ich damit, mit einer Fähre die Seitenarme des Flusses abzufahren und kleine Dorfmärkte besuchen.

Wasserfall von Wli in der Volta-Region Shrimps & Fried Rice Am Strand von Ada Foah

Nachdem Ghana im Halbfinale gegen Kamerun 0:1 unterlag, war die Euphorie erst mal ein wenig gebremst. Doch bald schon war der Schmerz überwunden, und das spätestens nach dem glanzvollen Auftritt gegen die Elfenbeinküste im Spiel um den 3. Platz. Insgesamt taten diese drei Wochen nicht nur mir gut, sondern vor allem auch dem Land. Und viele Besucher, die sonst wohl nie den Weg hierher gefunden hätten, konnten sich von der Herzlichkeit der Ghanaer überzeugen.

Und fürs Endspiel bekam man problemlos Tickets zu rund 7 Euro.

Hier noch eine Übersicht aller 12 Partien, die ich besuchte:

Ghana – Guinea 2:1 (Gruppe A, Accra)
Ägypten – Kamerun 4:2 (Gruppe C, Kumasi)
Sudan – Sambia 0:3 (Gruppe C, Kumasi)
Guinea – Marokko 3:2 (Gruppe A, Accra)
Ghana – Namibia 1:0 (Gruppe A, Accra)
Elfenbeinküste – Benin 4:1 (Gruppe B, Sekondi)
Nigeria – Mali 0:0 (Gruppe B, Sekondi)
Ghana – Marokko 2:0 (Gruppe A, Accra)
Elfenbeinküste – Mali 3:0 (Gruppe B, Accra)
Ghana – Nigeria 2:1 (Viertelfinale, Accra)
Ghana – Kamerun 0:1 (Halbfinale, Accra)
Kamerun – Ägypten 0:1 (Finale, Accra)

Alle Fotos und Videos könnt ihr euch online anschauen.

Fotos und Videos aus Ghana jetzt online

Bin jetzt seit Dienstag zurück aus Ghana und stehe immer noch völlig neben mir. Es war einfach unfassbar gut! Aber gut 35 Grad Temperaturunterschied zu hier, Halsschmerzen und drei arbeitsintensive Tage machen mir zu schaffen. Ein ausführlicher Bericht folgt sobald ich wieder klar denken kann. Die Fotos konnte ich bei flickr zumindest schon mal hochladen, freilich alles noch unkommentiert…

Außerdem hab ich bei YouTube einige Videos eingestellt, die etwas von der grandiosen Stimmung vermitteln.

Äthiopien im Januar 2005

Äthiopien. Abessinien. Wiege der Menschheit. Das sagenumwobene Land auf dem afrikanischen Kontinent. Das erste in Afrika, in dem sowohl das Christentum als auch der Islam zuerst Fuß fassten. Heimat der legendären Königin von Saba, die einst König Salomon den Kopf verdrehte (siehe Koran und Bibel). Quelle des Blauen Nils. Aufbewahrungsort der Bundeslade, mit der Moses die Gesetzestafeln in Empfang nahm. Auch das einzige afrikanische Land, das nie einer Kolonialmacht gehorchen musste. Aber das alles lässt sich – ebenso wie aktuelle Reisetipps – an anderen Stellen besser nachlesen. Ich beschränke mich daher auf ein paar ganz persönliche Beobachtungen.

Als leidenschaftlichem Reggae-Hörer entging mir natürlich nicht, dass in vielen Stücken die Rede von der Rückkehr ins gelobte afrikanische Herzland ist, ebenso wenig wie die Lobpreisungen auf den letzten äthiopischen Kaiser Haile Ras Tafan Selassie, der einst bei seinem Staatsbesuch in Jamaika wie der Messias empfangen wurde. Ich wurde also neugierig auf dieses unbekannte Land und begann schließlich mit der Reiseplanung.

Afrika Tis Abey - der Blaue Nil unweit seiner Quelle Kaiser Haile Selassie

Wenige Wochen später war ich also im guten, alten Abessinien. Problemlose Anreise, was schon damit begann, dass auf Kanal 7 des Inflight Entertainment Programms der Ethiopian Airlines zur Einstimmung Burning Spear lief.

Addis Abeba, 2370 Meter über dem Meer, blauer Himmel, strahlender Sonnenschein, 25 Grad, und weit und breit keine Hektik oder Stress. So kann’s weitergehen!

Nach ein paar Tagen zur Akklimatisierung in der Hauptstadt, begab ich mich nach Lalibela, wo einige beeindruckende Felskirchen mit farbenprächtigen Wandmalereinen zu bewundern sind.

Kirchliche Wandmalerei Felskirche in Lalibela Bibel in amharischer Schrift


Der nächste Bus nach Weldiya

Nur wenige der Fernstraßen Äthiopiens sind asphaltiert. Staubige Stein- und Sandpisten, große Höhenunterschiede, unwegsames Gelände und schrottreife Verkehrsmittel machen dabei eine Reise von A nach B zur Herausforderung. Der bevorstehenden Strapazen bewusst, buchte ich eine Mitfahrgelegenheit in einem Geländewagen – für die erste Etappe der etwa 500 km von Lalibela nach Aksum, die etwa drei Tage Fahrzeit in Anspruch nimmt. Am nächsten Morgen erscheine ich pünktlich um 5 Uhr am vereinbarten Treffpunkt. Nachts wird hier vernünftigerweise nicht gefahren, und wer schon einmal in Indien unterwegs war, weiß dies zu schätzen.

Und da stehe ich nun in der morgendlichen Kälte und “wart auf des Brummen von an Mercedes Diesel, aber’s brummt ned, brummt ned” (in Anlehnung an einen österreichischen Schlager aus den 80ern). Stattdessen erscheint ein Bote, der mir mitteilt “problem with machine, take bus”. Na gut, schon so früh auf den Beinen, begebe ich mich zum “Busbahnhof”: Das ist der zentrale Platz am Ort, kein Ticketbüro, keine Teestube, nur ein einziger Bus und weit mehr willige Fahrgäste als jemals darin Platz finden könnten, die alle angeregt miteinander diskutieren.

Es dauert eine Weile bis ich herausfinde, um was es geht. Angesichts der großen Nachfrage nach Fahrkarten für Weldiya hatte sich die Bus-Crew erdreistet, kurzerhand den Fahrpreis von 25 auf 35 Birr zu erhöhen.

Verärgerte Fahrgäste informierten daraufhin den Verbraucherschutzbeauftragten der örtlichen Polizeistation, der die gesamte Mannschaft mithilfe einiger Uniformierter in Gewahrsam nehmen lies.

Nun stand der Bus alleine da, und die widersprüchlichen Informationen überschlugen sich. Es solle ein Ersatzbus eingesetzt werden, man wäre auf der Suche nach einem anderen Fahrer, in 10 Minuten geht’s los, bla bla, etc.

Gegen 9 Uhr hatte ich die Schnauze voll, und die Hoffnung aufgegeben, heute noch wegzukommen, checkte ich wieder ins selbe Hotel ein, das ich vier Stunden zuvor verlassen hatte. Dort holte ich erstmal den fehlenden Schlaf nach.

Als ich nachmittags gegen zwei nochmal am Schauplatz vorbei kam, saßen noch immer rund zwei Dutzend Wartender im mittlerweile nur noch einen halben Meter breiten Schatten des (vielleicht) nächsten Busses nach Weldiya. Ich begab mich schließlich zum Flugplatz, um die zeitsparendere, aber wesentlich kostspieligere Variante der Reise nach Aksum zu wählen. Wann der Bus letztendlich auf die Reise ging, habe ich nicht mehr herausgefunden.

Marktplatz in der Provinz Schulkinder Musikladen

Sprachkenntnisse

Tennaystillin! Grundsätzlich, aber vor allem in touristisch weniger erschlossenen Regionen, empfiehlt es sich auf Reisen, mit ein paar Brocken der Landessprache aufwarten zu können. Ich habe mir also gleich zuhause noch einen Amharisch-Sprachführer und eine dazugehörige Audio-Cassette besorgt. Schon bald konnte ich mich mit essenziellen Phrasen wie “Wo geht’s denn zur Post?” oder “Wie viele Tabletten soll ich hiervon einnehmen?” behaupten.

Und wie es sich für einen ordentlichen Touristen gehört, verbringe ich meine Zeit mitunter damit, mir in sengender Mittagshitze archäologisch bedeutsame Steinhaufen anzuschauen. So begab es sich, dass ich mit staubiger Kehle eine Bar betrat.

Übung macht den Meister, dachte ich mir, und so verlieh ich meinem Verlangen mit den Worten “Ant birra iffadigallahu” Ausdruck. Die Schönheit hinter der Theke sah mich daraufhin mit ihren großen braunen Augen fragend an: “Möter?” (Anmerkung: “Möter” ist eine der Inkarnationen des Autors).

Wie vom Blitz getroffen, schossen mir wirre Gedanken durch den Kopf, wie etwa “Sind wir uns in einem früheren Leben schon einmal begegnet?” oder “Hat ihr vielleicht die Wahrsagerin von meinem Kommen berichtet?”. Nach einer rhetorischen Pause von zwei Sekunden (gefühlten acht Minuten) nicke ich zustimmend mit dem Kopf, worauf sie mir eine eiskalte Flasche Bier in die Hand drückt. Gedanken lesen kann sie also auch noch!

Mit einem Grinsen im Gesicht sinke ich zufrieden in einen der noch freien Plastiksessel. Nach einem kräftigen Schluck betrachte ich das Etikett auf der Flasche: Darauf steht zu lesen: Meta Beer – Produce of Ethiopia.

Sei’s drum, ich glaube wieder an die Liebe auf den ersten Blick. Das passiert mir nämlich zurzeit so ungefähr zwei-, dreimal täglich.

Im Café Kleine Schönheit Mittagspause

Durchs Simien-Gebirge

Die Strecke von Aksum nach Gondar beträgt 360 km und geht mitten durchs Simien-Gebirge (mit dem 4545 m hohen Ras Dashen die höchste Erhebung des Landes), und ist in gut zwei Tagen zu bewältigen. Das erste Teilstück bis Inda Selassie (Provinz Shirie) bereitet keine größeren Schwierigkeiten. In diesem staubigen Provinznest wird erst einmal übernachtet. Direkt am Busbahnhof versteht sich, denn bereits im Morgengrauen soll es weitergehen.

Die bescheidene Herberge ist sauber und verfügt über einen gastronomischen Betrieb. Und hier ist es auch, wo ich meine erste Kaffeezeremonie erleben durfte. Die Kaffeezeremonie gilt als wichtiges gesellschaftliches Ereignis.Vollzogen wird sie üblicherweise von der Mutter oder einer der älteren Töchter des gastgebenden Hauses. Eingeladen werden Freunde, Nachbarn – und auch mal ein Durchreisender.

Über einer kleinen Feuerstelle mit Holzkohle werden in einer flachen Pfanne die Kaffeebohnen geröstet und anschließend mit zwei abgerundeten Steinen gemahlen. Der sich dabei freisetzende Kaffeeduft ist unbeschreiblich intensiv. Der Kaffee wird in einem Tonkrug mehrfach aufgebrüht und schließlich in kleinen Tässchen zusammen mit Popcorn serviert. In die noch glühenden Kohlen wird nun Weihrauch gegeben, wodurch der Raum bald nach einer eigenartigen Melange aus Incense und Kaffee duftet.

Nach drei Runden doppeltem Espresso ist jeder Tote wieder zum Leben erweckt, und es wird zu äthiopischer Popmusik getanzt, wobei hauptsächlich mit Kopf und Schultern gewackelt wird. Die Musik erinnert in ihrer Struktur ein wenig an die Klänge wie sie in Ägypten, Nubien und dem Sudan zu hören sind (vgl. Abdel Halim Hafez, Ali Hassan Kuban).

Mittlerweile ist ein zweiter Reisender eingetroffen: Bob, ein 54-jähriger Haudegen aus Las Vegas, der im wahrsten Sinne des Wortes “eine Weltreise macht” und mir bei ein paar Runden St. George Beer unzählige Argumente dafür liefert, warum man ab 40 nicht mehr arbeiten sollte. Wenn man sich das rechtzeitig zum Ziel mache und die Weichen entsprechend stelle, wäre das locker machbar. Schön fand ich auch seinen Vergleich unserer Industriegesellschaft mit einem Hamsterkäfig: Fressen, schlafen und ziellose Runden im Laufrad drehen…

Glücklicherweise erwies sich der Heilige Georg gnädig und beschwerte mir keine Kopf- oder Magenschmerzen, und so konnte die zweite Etappe gelassen in Angriff genommen werden. Um 5.30 Uhr sollte es losgehen – so stand es zumindest auf dem Ticket – allerdings dauerte es bis 7.30 Uhr bis das gesamte Gepäck verstaut und die Fahrgäste in den klapprigen Bus hineingepfercht waren. Vor Sonnenaufgang ist es hier zudem noch ziemlich kalt, und für einen kurzen Augenblick stellte ich mir die Frage, wozu ich denn das alles auf mich nehme. Andere Leute fahren schließlich auch in Urlaub, und legen dabei vor allem Wert auf Komfort und Bequemlichkeit. Sollen sie doch!

Bald aber schon zeigte sich, dass ich von den anderen Passagieren herzlich aufgenommen wurde. Mein Status als Farengi (amharisch für Gringo, farengi = foreigner) brachte mir den vorteilhaften Platz vorne rechts neben dem Fahrer ein. Bei den zahlreichen Tee- und Pinkelpausen beantwortete ich immer wieder aufs Neue dieselben Fragen und werde stets zu Freigetränken eingeladen.

Wieder im Bus machte ich es mir vorne im Cockpit bequem, während mich die beiden Gepäck-Fritzen mit reichlich Qat (Kat, Chat) versorgten. Die Blätter dieser im äthiopischen Hochland und in Südarabien heimischen Kulturpflanze werden so lange gekaut, bis sich ein zunächst bitterer, aber zunehmend angenehmer schmeckender Sud bildet. Das ganze wirkt leicht narkotisierend und bekämpft das Hungergefühl. Aufgrund eines früheren Aufenthalts in einem jemenitischen Ausbildungslager konnte ich mit Fachsimpelei über Qualität und Herkunft der Blätter überzeugen und selbst dem etwas verschlossen wirkenden Fahrer ein Lächeln entlocken.



Kaffeezeremonie Versorgung mit Qat im Bus Marktweiber

Irgendwie lustig war dann auch die Situation, als sich ein muslimischer Händler dazugesellte und – ebenso die Backen mit Qat vollgestopft – mir in gebrochenem Englisch versuchte, die Vorzüge des Islam näher zu bringen. Zu verstehen war kaum etwas, doch durch geschicktes Einstreuen zufällig ausgewählter Schlagwörter wie “Mekka” oder “Mohammed” konnte ich mein Interesse bekunden und zu seiner Zufriedenheit beisteuern.

Mittlerweile schraubten wir uns über Serpentinen auf Passstraßen auf etwa 3000 m in die Höhe. Alleine die Aussicht auf die grandiose Bergwelt war die Strapazen der Fahrt schon wert und dem zweifelsohne bequemeren Inlandsflug vorzuziehen. Auf ein paar andere Programmpunkte dieser “All inclusive”-Reise hätte ich aber gerne verzichtet: z.B. auf sich übergebende Frauen, den geplatzen Hinterreifen und der damit verbundenen Zwangspause jenseits von einem einzigen Zentimeter Schatten, oder die gleichmäßig auf Gesicht und Kleidung verteilte rotbraune Staubschicht. Etwa eine Stunde vor Erreichen des Zielortes ging uns dann auch noch der Sprit aus. Ein entgegenkommender Lkw konnte aber noch etwas entbehren, und so kamen wir nach 12 erlebnisreichen und unterhaltsamen Stunden in der Provinzhauptstadt Gondar an.

Der muslimische Geschäftsmann half mir noch bei der Zimmersuche und sorgte dafür, dass ich keinen Touristenpreis zahlen musste. Aus dem Date mit der 21-jährigen Studentin, mit der ich unterwegs zusammen zu Mittag gegesen hatte, wurde aber leider nichts. Unter der Telefonnummer, die sie mir gegeben hatte, erreichte ich nur ihre Mutter, die mir wiederholt mitteilte, dass Frwoyne lernen müsse und keine Zeit hätte. Schade. Aber dafür macht sie bestimmt einen guten Abschluss.

In Gondar besuchte ich die Festlichkeiten zum Timkat-Fest, an dem die Taufe Jesu gefeiert wird. Zusammen mit Ostern und Weihnachten ist das der höchste Feiertag im äthiopisch-orthodoxen Kalender. Es gibt eine Prozession quer durch den Ort, bei der quasi die ganze Stadt auf den Beinen ist und hohe Geistliche von Klosterschülern, Trommel- und Bläsergruppen sowie Gläubigen in festlicher Kleidung begleitet werden.

Kaffeepause in geselliger Runde Prozession zum Timkat-Fest In der Bar

Über die Zeit

Heute, am 1. Februar 2005, schreiben wir in Äthiopien den 24.5.1997. Hier wird nämlich der Julianische Kalender verwendet. Demnach hat das Jahr 13 Monate: Zwölf Monate á 30 Tage sowie einen Monat mit 5 bzw. 6 Tagen (Schaltjahr).

Damit nicht genug. Auch die Uhr wird anders gelesen. Man verwendet ein 12-Stunden-System, wonach der Tag und die Nacht in jeweils zwölf Stunden eingeteilt werden. Der Tag beginnt nach der uns bekannten Zählweise um sechs Uhr morgens und endet um sechs Uhr abends, wenn die Nachtzählung beginnt. 3 Uhr äthiopischer Zeit entspricht also 9 Uhr unserer Zeit (ob Tag oder Nacht muss natürlich dazugesagt werden). Um also die korrekte “internationale” Zeit zu erhalten, kann man entweder einer beliebigen äthiopischen Zeit sechs Stunden hinzuzählen oder die gegenüberliegenden Zahlen auf dem Zifferblatt miteinander tauschen (z.B. die 11 gegen die 5. Denn 5 Uhr äthiopischer Zeit entspricht 11 Uhr internationaler Zeit).

Dieses System wird übrigens auch in weiteren Ländern Ostafrikas verwendet, so etwa in Kenia und Tansania.

Verwirrend? Alles nur eine Sicht der Dinge…