İstanbul

Nachdem ich im Januar ein privates Wochenende in Athen aus beruflichen Gründen sausen lassen musste, revanchierte sich das Schicksal kurz darauf mit einer Geschäftsreise nach Istanbul. Nach einem Blick auf den Spielplan lief es mir zunächst kalt den Rücken herunter: Das große Stadtderby zwischen Beşiktaş und Galatasaray stand an. Bingo! Zudem ein paar weitere Ligaspiele sowie unter der Woche die UEFA Europa League mit den beiden verbleibenden türkischen Vertretern Gala und Fener zuhause.

Alsbald setzte ich sämtliche Hebel in Bewegung, um an ein Ticket fürs Derby zu kommen. Die anderen Partien sollten vor Ort klarzumachen sein. Dabei lernte ich, dass die Anstoßzeiten in der türkischen Süperlig ziemlich kurzfristig festgelegt werden und der Kartenvorverkauf meist erst 3-4 Tage vor dem Spieltermin startet. Zu meinem Derby-Ticket kam ich dann letztlich ganz unspektakulär und ohne einheimische Hilfe über das Biletix-Kartenportal, über das so ziemlich alle türkischen Clubs ihren Vorverkauf abwickeln.  Das Europacup-Rückspiel von Galatasaray gegen Atletico Madrid hingegen ging erst gar nicht in den freien Verkauf, sodass ich den Besuch am Donnerstagabend im Stadion “Ali Sami Yen” leider streichen musste.

Kasımpaşaspor – Gaziantepspor 3:0 (2:0)

Recep Tayyip Erdoğan Stadyumu, ca. 1.500 Zuschauer
Türkcell Süperlig, 21.02.2010

Los ging’s erstmal am frühen Sonntagnachmittag, mit der Fähre (70 Cent) über den Bosporus hinüber in den europäischen Teil der Stadt nach Beyoğlu. Neben den großen Dreien tummeln sich noch einige kleinere Clubs in Istanbul. Einer davon ist Kasımpaşa. Deren Stadion ist nach dem in diesem Stadtteil geborenen türkischen Ministerpäsidenten benannt, aber viel bemerkenswerter ist die Tatsache, dass es eingebettet in einen Hügel direkt in einem Wohngebiet liegt. Das ist dann auch der Grund dafür, dass man sich nur eine einzige L-förmige Tribüne leisten kann, die sich von der einen Spielfeldseite an der Bergseite bis hinter einer der Torauslinien erstreckt. Die Bewohner der angrenzenden Häuser an den beiden offenen Seiten haben damit beste Logenplätze.

Karten gibt’s an der Tageskasse für 10 Türkische Lira (knapp 5 Euro) und das bei freier Platzwahl, wobei die Kapazität von 9.500 Plätzen nicht mal bei Spielen gegen die größeren Clubs der Stadt voll ausgeschöpft wird. Heute waren es schätzungsweise 1.500 Zuschauer. Zu Gast war das Team aus Gaziantep, unweit der syrischen Grenze. Dennoch brachten diese rund 200 Fans mit, wobei einige davon wohl ohnehin in Istanbul ihr Brot verdienen. Die Partie war ganz unterhaltsam anzusehen, gemütliche Atmosphäre bei Tee und Sonnenblumenkernen, mit einer spielbeherrschenden Heimmannschaft. Insgesamt nichts Besonderes, wären da nicht ein paar fragwürdige Schiedsrichterentscheidungen gewesen.

Beim Stand von 2:0 in der zweiten Halbzeit gibt es Elfmeter für die Gäste und einen Platzverweis gegen den Übeltäter der Gastgeber. Im Handumdrehen kippt die Stimmung auf der Tribüne: Schluss mit dem Sonntagspicknick. Auf dem Platz kommt es unweigerlich zur Rudelbildung mit etwas Geschubse. Es wird viel und lautstark gestikuliert. Der zunehmend bedrängte Schiri nimmt Reißaus und sucht Schutz beim Linienrichter. Und dieser erklärt ihm, dass er da wohl was falsch gesehen hätte. Die Entscheidung wird zurückgenommen: Kein Platzverweis, und auch kein Elfer – was jetzt natürlich wiederum die Gäste erbost. Nicht nur die Spieler, die nun den Unparteiischen umzingeln, sondern auch deren Anhang. Sitze werden aus der Verankerung gerissen und aufs Spielfeld geworfen, einige überklettern die Absperrungen, schubsen Ordner um und laufen in Kamikaze-Manier auf die Heimtribüne zu. Verstärkung in Form von Polizisten in Kampfausrüstung ist aber gleich zur Stelle, und so werden einige aus dem Innenraum abgeführt. Ein kleiner Vorgeschmack auf das große Derby am heutigen Abend? Mir wird etwas mulmig. In der Nachspielzeit fällt das 3:0.

Beşiktaş – Galatasaray 1:1 (0:0)

BJK İnönü Stadyumu, 32.145 Zuschauer (ausverkauft)
Türkcell Süperlig, 21.02.2010

Nur etwa drei Kilometer von Kasımpaşa entfernt liegt das Inönü-Stadion. Über den Taksim-Platz, wo sich die GS-Fans versammelten, ging’s zunächst ins Kazan Beer House. Dieses liegt inmitten des Stadtteils Beşiktaş und bildet das Epizentrum der Party vor dem Spiel. Dort traf ich mich mit Rasim und seinen Kumpels. Lautstark und feuchtfröhlich geht es dort zur Sache, doch viel Zeit blieb nicht. Die gesamte Meute, die sich in und um der Kneipe traf, machte sich gemeinsam auf den Marsch ins etwa 500 Meter entfernte Stadion.

Das Inönü ist ein klassisches Fußballstadion direkt neben dem Dolmabahçe-Palast gelegen, mit Blick auf Bosporus und Moschee – und gleichzeitig das einzige Stadion der Welt, das man von einem anderen Kontinent aus erblicken kann.  Das Polizeiaufgebot rund ums Stadion war erwartungsgemäß groß. Die paar tausend ‘ultrAslan’ aus dem nördlich angrenzenden Viertel Galatasaray wurden gut bewacht, sodass es zu keinerlei Zwischenfällen kam. Im Stadion ist größte Ultra-Gruppierung von Beşiktaş (Çarşı) auf der Kapalı-Tribüne an der Seitenlinie zuhause. Die meisten dort haben Jahreskarten, und die verfügbaren restlichen Tickets gingen offiziell für sage und schreibe 250 TL (rund 120 Euro) über den Tisch. Aber selbst für einen Platz auf der dreistöckigen Hintertortribüne ‘Yeni Açık’ schlug mit knapp 40 Euro zu Buche. Wir fanden im Mittelrang Platz und aufgrund der Enge fragte ich mich, ob da nicht viel mehr als 32.145 Leute im Stadion waren. Selbst die Ordner standen auf den Sitzen. Und obwohl es eigentlich keine Stehplätze gibt, sah man nur ein paar Leute auf der Haupttribüne sitzen.

Die Stimmung war grandios. Beim Einlaufen der Mannschaften entwickelte sich ein nie geahnter Lärmpegel in einem Meer aus Fahnen, Schals und Bengalos. Mit einem Sieg könnte man zum Tabellenführer aufschließen und wieder aktiv um die Meisterschaft mitspielen. In einer hart umkämpften Partie gingen die Gäste in der 68. Minute in Führung. Die rot-gelbe Seite des Stadions tobte. Und bei Einwürfen und Eckbällen der Gäste hagelte es Becher, Feuerzeuge und Münzen in einem Ausmaß, das in Deutschland einen Spielabbruch rechtfertigen würde. Als Beşiktaş acht Minuten vor Schluss den Ausgleich erzielte, bebte die Tribüne und ich fand mich etwa zehn Stufen weiter unten wieder. Nicht auszudenken was wohl geschehen wäre, hätte man noch den Siegtreffer nachlegen können.

Fenerbahçe – Bursaspor 2:3 (2:1)

Şükrü Saracoğlu Stadyumu, ca. 45.000 Zuschauer
Türkcell Süperlig, 22.02.2010

Tags darauf begab ich mich ins modernste und größte Vereinsstadion der Türkei: ins Şükrü Saracoğlu, Heimat von Fenerbahçe. Unweit meines Hotels in Kadıköy auf der anatolischen Seite gelegen, konnte ich bequem zu Fuß hingehen. Das rechteckig mit zwei Rängen angelegte Stadion mutet aufgrund seiner Architektur etwas englisch an und bietet 50.530 Besuchern Platz.

Nachdem Galatasaray am Vortag Punkte liegen ließ, hätte Fener mit einem Sieg die Tabellenführung übernehmen können. Und lange sah es gegen den Tabellendritten Bursa auch so aus. Die beiden Brasilianer Alex and Andre Santos sorgten nach nur 20 Minuten für eine souveräne Führung für das Team von Christoph Daum (2:0 siehe Foto). Noch vor der Halbzeitpause gelang Bursaspor der Anschlusstreffer, und im Laufe der zweiten Hälfte verlor FB zunehmend den Faden. Und es kam wie es kommen musste: In der 85. Minute erzielten die Gäste nach einem indirekten Freistoß den Ausgleich und in der Nachspielzeit schloss man einen Konter souverän zum Auswärtssiegtreffer ab.

Wieder einmal ließen die Fans ihrer Frustration freien Lauf. Die Bursa-Spieler, die sich von den Mitgereisten feiern ließen, kamen sofort unter Dauerbeschuss. Da einem am Eingang so ziemlich alles abgenommen wird, was möglicherweise als Wurfgeschoss verwendet werden könnte (einschließlich Münzen),  flogen diesmal eben Handyakkus und Haustürschlüssel – unglaublich. Was mich aber beim Verlassen des Stadions noch mehr erstaunte, war die Tatsache, dass sich alle Besucher der Hintertortribüne durch gerade mal zwei Tore auf eine einzige Treppe drängen müssen, um ins Freie zu gelangen. Und das bei einem relativ neuen Stadion. Wenn da mal eine Panik ausbricht…

Hinterlasse eine Antwort