23. Mai 2009
FC Parma – Vicenza Calcio 4:0 (3:0)
Stadion Ennio Tardini, 10.645 Zuschauer
Italien, Serie B
Die Fakten sprachen eine klare Sprache: Himmelfahrtswochenende, vorletzter Spieltag der Serie A und B, Hin- und Rückflug nach Bergamo für 14(!) Euro. Und schon war die Entscheidung gefallen: Es geht zur Abwechslung mal nach Italien.
Nun bin ich wirklich kein großer Freund des italienischen Fußballs. Zuviele negative Assoziationen werden da bei mir geweckt: Defensiver, unattraktiver Ergebnisfußball, arrogante Spielertypen, viel Schauspielerei und versteckte Fouls, und von Überheblichkeit strotzende Fans. Dazu kommt die Eskalation der Gewalt sowie mafiose Verstrickungen zwischen Vereinen, der Politik, Wirtschaft und wer auch immer sonst noch seine Interessen vertreten sehen will. Daher verfolge ich die italienische Liga auch nicht annähernd in einem Maße wie ich das in anderen Ländern tue.
Dennoch zählt der italienische Fußball nach wie vor mit zum erfolgreichsten der Welt – wenn auch den europäisch spielenden Vereinsmannschaften nach und nach der Rang abgelaufen wird und der WM-Titel 2006, gelinde gesagt, sehr glücklich zustande kam. Nun muss ich ja nicht gleich alles mies machen, schließlich ist Italien auch die Geburtsstätte der Ultra-Bewegung und bekannt für fanatische Stimmung in den Stadien, welche für sich allein schon einen Flair der Achtziger Jahre versprühen. Zudem spricht ja nichts gegen einen Kurzurlaub bei hervorragender Küche und sommerlichen Temperaturen.
Am Donnerstagnachmittag in Bergamo (auf ryanairisch als Mailand bezeichnet) eingetroffen, hatte ich zunächst zwei fußballfreie Tage zu überstehen. Nach gemäßigten Sightseeing-Aktivitäten und einem Treffen zum Pizzaessen mir einer Kollegin in Mailand, ging es am Samstagmorgen mit dem Zug nach Parma. Die Nahverkehrszüge Italiens sind ziemlich marode, verschmutzt und auch die Klimaanlage (sofern vorhanden) funktioniert nicht immer. Aber die Fahrpreise zählen zu den niedrigsten in Westeuropa: ein schlagkräftiges Argument für einen Budget-Reisenden wie mich. Wollen wir also nicht meckern.
Parma selbst ist eine wunderschöne Stadt, Bilderbuch-Italien par excellence. Der einst international spielende AC Parma musste 2004 Konkurs anmelden, und nur durch eine schnell eingebrachte Gesetzesnovelle und eine Neugründung unter dem Namen FC Parma, konnte die Liquidation vermieden und der Spielbetrieb aufrechterhalten werden. Man fand sich schließlich in der 2. Liga wieder, und gerade am vorangegangenen Spieltag konnte auswärts der Wiederaufstieg eingetütet werden. Nun stand das letzte Heimspiel der Saison an, was einen Ansturm auf die Tickets und eine große Aufstiegsfeier versprach. Eine Stunde vor Öffnung der Kartenhäuschen bildeten sich bei gut 34 Grad im Schatten die ersten Schlangen. Zu diesem Zeitpunkt waren die günstigeren Tickets für die Curva längst im Vorverkauf über den Tisch gegangen, sodass ich 30 Euro für einen Tribünenplatz hinblättern musste. In Folge der gewalttätigen Ausschreitungen der letzten Jahre werden Eintrittskarten nur noch personalisiert verkauft, d.h. man muss unbedingt seinen Ausweis dabei haben, da der Name registriert und aufs Ticket gedruckt wird. Gästekarten gehen am Spieltag grundsätzlich nicht mehr in den Verkauf. Soviel zum administrativen Aufwand. Rund ums Stadion ist viel Polizei zugegen, außerdem herrscht ein striktes Alkoholverbot im und ums Stadion herum. Bei der Hitze konnte ich ausnahmsweise auch gerne mal auf den Gerstensaft vor dem Spiel verzichten.
Das Stadio Ennio Tardini ist ein richtiges Fußballstadion, sehr kompakt, mit zwei überdachten Sitzplatztribünen an den Seitenlinien und den Stehplatzbereichen hinter den Toren. Der Gästebereich beschränkte sich auf eine kleine Ecke hinter einem der Tore, der Rest der Stehplatzränge auf dieser Seite, der rund 3000 weiteren Fans Platz geboten hätte, musste leer bleiben. Schade, denn somit war das Stadion zwar ausverkauft, aber eben nicht voll. Die Parma-Fans legten gleich gut los mit lauten Gesängen, einer ansehnlichen Choreographie, viel Konfetti und Rauch. Von meinem 30-Euro-Platz aus hatte ich beste Sicht auf Spielfeld und Kurve, und spätestens jetzt bereute ich keine Minute mehr, dass ich mich für die überdachte Variante entscheiden musste. Der Schweiß und das Acqua minerale flossen in Strömen, und ich weiß nicht, ob ich auf einem Stehplatz in der prallen Sonne nicht etwa kollabiert wäre. Bin schließlich auch nicht mehr der Jüngste.
Alles war zubereitet für eine große Party. Auf dem Platz setzten die Blau-Gelben zu einem Schaulaufen an und führten zur Pause bereits souverän 3:0. Zur zweiten Hälfte wechselte ich meinen Platz und begab mich in den Block neben den paar Hundert Gästefans aus Vicenza, die stimmlich zwar kaum mithalten konnten, aber immer wieder zu beleidigenden Gesängen ansetzten, was umgehend entsprechend beantwortet wurde. Parma machte weiter, wo es in der 1. Hälfte aufgehört hatte, und zwar mit dem Toreschießen. Mittlerweile fiel das 4:0. So hätte es weitergehen können.
Doch dann kam es zu einem tragischen Zwischenfall. Etwa 20 Minuten vor Ende der Partie stürzte ein Vicenza-Anhänger von der Tribüne ca. 6 Meter in die Tiefe. Ein Aufschrei ging durchs Publikum, der sofort jeden (einschließlich Spieler und Schiedsrichter) erstarren ließ. Sofort war jedem klar – auch den vielen, die es nicht selbst beobachteten – dass hier etwas Schreckliches passiert sein musste. Der Schiri unterbrach die Partie und panisch wurde versucht, so schnell wie möglich Sanitäter und Helfer herbeizuholen. Der Schwerverletzte wurde schließlich in die Notaufnahme transportiert, und das Spiel blieb für weitere 20 Minuten unterbrochen. Die Vicenza-Fans waren außer sich, dass die Partie nicht abgebrochen wurde. Und letztlich stimmten auch die Parma-Fans Sprechchöre an, die einen Spielabbruch forderten. Als dann offensichtlich die Meldung eintraf, dass der Verletzte noch am Leben sei, pfiff der Unparteiische wieder an.
Gut ein Drittel der Zuschauer verließ daraufhin unter Protest das Stadion. Die Vicenza-Anhänger zogen geschlossen ab. Plötzlich herrschte gespenstische Stille, keinem war mehr zum Feiern zumute. Auch die Akteure auf dem Platz hatten keine Lust mehr auf Fußball und spielten sich gegenseitig den Ball im Mittelfeld zu. Die Zeit bis zum erlösenden Abpfiff schien eine Ewigkeit zu dauern.
Eugenio Bortolon, 19 Jahre, verstarb noch am selben Tag im Krankenhaus. Ein Tag, der so schön begann, endete in einer furchtbaren Tragödie. Und plötzlich relativierte sich alles wieder.
24. Mai 2009
Atalanta Bergamo – US Palermo 2:2 (0:1)
Stadio Atleti Azzurri d’Italia, 10.669 Zuschauer
Italien, Serie A
Der Übergang zum nächsten Spiel am darauffolgenden Tag fällt mir nicht leicht. Aber schließlich muss es weiter gehen. Am Sonntag war die Serie A dran, in San Siro trat der AC Milan gegen AS Roma an, und wäre eine Option gewesen. Sportlich sicher höherwertig als Atalanta gegen Palermo, aber den gigantischen Giuseppe-Meazza-Tempel kannte ich schon. Und irgendwie schreckten mich auch die Touristen aus Kanada oder Japan ab, die ich in diesen Tagen traf und die noch nie in ihrem Leben ein Fußballspiel besucht haben, aber einen Besuch beim AC Milan auf ihrer Sightseeing-Agenda hatten.
In Bergamo hingegen erwartete mich ein etwas ursprünglichers Fußballerlebnis. Im Ticket Office konnte ich mit rudimentärem Italienisch verständlich machen, was mein Begehr war, und legte meinen Personalausweis zur Registrierung vor. Die hübsche Kartenverkäuferin erklärte mir daraufhin in astreinem Deutsch, welche Karte wieviel kostet, wo die Gäste stehen und welche Ecken man lieber meiden sollte. Dabei kam ein Stehplatz für 14 Euro raus.
An diesem Sonntag war es dann noch einen Tick heißer als am Vortag, doch dafür gab es in der Kurve kein einziges schattiges Plätzchen. Ich positionierte mich also ganz oben, wo ich zwar weit vom Spielfeld weg war, aber immerhin gelegentlich eine leichte Brise für etwas “Abkühlung” sorgte (dieses Wort ist eigentlich völlig fehl am Platz). Das Stadio Atleti Azzurri d’Italia ist nicht ganz so kompakt angelegt wie das in Parma, wenn auch dankenswerterweise auf eine Aschenbahn verzichtet wurde. Jedenfall ein weiteres richtiges Fußballstadion, wie man es früher gewohnt war. Zudem am Südrand der Alpen gelegen mit schönem Bergpanorama im Hintergund.
Sportlich ging es am vorletzen Spieltag nur noch bei Palermo um etwas, das bei einem Sieg und gleichzeitigen Niederlagen der Konkurrenz noch auf einen Europa-Liga-Platz hoffen durfte. Doch daraus wurde nichts. In einem abwechslungsreichen Spiel, das keinen Sieger verdiente, bekam ich ein Untschieden mit vier Toren zu sehen. Auch supportmäßig war wieder das volle Programm geboten: Blockfahnen, Choreographien, Rauchbomben und lauter Gesang.
Der Abend wurde traditionell bei Pizza und Rotwein beschlossen, bevor es zeitig zu Bett ging. Denn am nächsten Morgen hieß es um halb fünf raus aus den Federn, Rückflug nach Berlin und direkt ins Büro.