München bleibt blau!

Im DFB-Pokal-Viertelfinale siegt der FC Bäh dank eines unberechtigten Elfmeter in der Nachspielzeit der Verlängerung (Foul außerhalb des Strafraums) und profitierte zudem von einem Platzverweis gegen Benjamin Schwarz, den Franck Ribery mit einer Oscar-reifen Schauspieleinlage provozierte. Von den Mätzchen des “Weltmeisters” Luca Toni möchte ich gar nicht erst sprechen. Das war alles andere als weltmeisterlich.

Aber mal abgesehen von den Schiedsrichterentscheidungen (schönen Gruß an Herrn Gagelmann nach Bremen!), bleibt die Verunstaltung des Grünwalder Stadions im Vorfeld des Spieles unentschuldbar.

Die Roten können sich aufgrund ihrer Aktionen und der aktuellen Vorkommnisse glücklich wähnen, nicht in Buenos Aires oder Glasgow zu leben. Denn dort müssten sie nun um ihr Leben fürchten. Aber die Münchner sind diesbezüglich etwas entspannter.

Eines ist sicher: München bleibt blau, und die Unaussprechlichen haben sich in diesen Tagen sicher keine Freunde gemacht.

Fotos und Videos aus Ghana jetzt online

Bin jetzt seit Dienstag zurück aus Ghana und stehe immer noch völlig neben mir. Es war einfach unfassbar gut! Aber gut 35 Grad Temperaturunterschied zu hier, Halsschmerzen und drei arbeitsintensive Tage machen mir zu schaffen. Ein ausführlicher Bericht folgt sobald ich wieder klar denken kann. Die Fotos konnte ich bei flickr zumindest schon mal hochladen, freilich alles noch unkommentiert…

Außerdem hab ich bei YouTube einige Videos eingestellt, die etwas von der grandiosen Stimmung vermitteln.

Auf nach Ghana!

Morgen früh geht’s endlich los nach Ghana. Ich kann es kaum erwarten. Die letzten Wochen habe ich die Entwicklungen intensiv verfolgt, und wenn man der Presse und den Beobachtern vor Ort glauben darf, wird der Afrika-Cup das größte Fest, das Afrika seit langem gesehen hat.

Insgesamt werden über eine Million Besucher aus dem ganzen Kontinent erwartet, allen voran Ivorer und Nigerianer. Senegals Präsident stellt sogar seinen Jet zur Verfügung, um die Fans nach Ghana zu bringen.

Das Team von Nigeria ist nach Verspätung eingetroffen und wurde am Flughafen schikaniert, während die Gastgeber ihr Hotel räumen mussten – wegen Preisdiskrepanzen.

Mittlerweile habe ich ein deutsch-britisches Fantreffen organisiert, denn offensichtlich finden nicht nur die Afrikaner Interesse an diesem Spektakel. Treffpunkt ist am Sonntag vor dem Eröffnungsspiel um 13 Uhr im Ryan’s Irish Pub im Stadtteil Osu, nahe des Stadions. Zusagen kamen bereits aus Edinburgh, Nottingham, Derby, Portsmouth, Aschaffenburg, Stuttgart und Togo.

Im Fernsehen kann man die Spiele live auf Eurosport verfolgen. Den kompletten Spielplan gibt’s hier. Eine Stunde draufschlagen, dann hat man die mitteleuropäische Zeit.

Und BBC’s Radio 1xtra ist live vor Ort und widmet sich der Berichterstattung um das “Drumherum”: Fans, Musik, Parties und so weiter.

Mit Kupferkugeln auf Eichhörnchen schießen

So oder so ähnlich könnte demnächst eine Schlagzeile im Sportteil einer afrikanischen Zeitung lauten. Nämlich dann, wenn es in den nächsten Wochen beim Afrika-Cup in Ghana zu einem Aufeinandertreffen der Teams aus Sambia und Benin kommen sollte.

Kupferkugeln (Chipolopolo) und Eichhörnchen (Les Ecureuils) sind nämlich die Spitznamen dieser Mannschaften. In Afrika hat praktisch jede Nationalmannschaft einen mehr oder weniger originellen Kampfnamen. Bei der Entscheidung um den Titelgewinn dürften diese beiden aber kaum ein Wörtchen mitzureden haben.

Interessanter wird es da wohl gleich zu Beginn des Turniers, wenn die favorisierten Elefanten aus Cote d’Ivoire auf Berti Vogts’ Super-Adler treffen, oder wenn es Otto Pfisters unzähmbare Löwen mit den Nilkrokodilen aus dem Sudan zu bekommen kriegen. Viele rechnen damit, dass die gastgebenden Black Stars das Rennen machen werden.

Als Titelverteidiger sollte man die Pharaohs nicht unterschätzen (woher waren die gleich noch?). Und von der WM her sind die Atlas-Löwen (Marokko), die Adler von Karthago (Tunesien) und die schwarzen Antilopen (Angola) noch in bester Erinnerung.

Als Geheimfavoriten werden die Adler aus Mali, die südafrikanischen Bafana Bafana sowie die Teranga-Löwen aus Senegal gehandelt. Den tapferen Kriegern Namibias und den Nationalelefanten aus Guinea werden hingegen kaum Chancen eingeräumt.

Übrigens: Die Roten Teufel aus dem Kongo (Diables Rouges) konnten sich ebensowenig qualifizieren wie WM-Teilnehmer Togo (die Falken).

Alle teilnehmenden Teams in der Übersicht:

Ägypten – The Pharaohs (die Pharaonen)
Angola – Palancas Negras (Schwarze Antilopen)
Benin – Les Ecureuils (Eichhörnchen)
Elfenbeinküste – Les Éléphants (Elefanten)
Ghana – Black Stars (Schwarze Sterne)
Guinea – Syli Nationale (Nationalelefanten)
Kamerun – Les Lions Indomitables (Unzähmbare Löwen)
Mali – Les Aigles (Adler)
Marokko – Lions de l’Atlas (Atlas-Löwen)
Namibia – Brave Warriors (Tapfere Krieger)
Nigeria – Super Eagles (Super-Adler)
Sambia – Chipolopolo/Copper Bullets (Kupferkugeln)
Senegal – Les Lions de la Teranga (Löwen von Teranga)
Südafrika – Bafana Bafana (die Jungs)
Sudan – Nilkrokodile oder Sokoor al-Jediane (Wüsten-Falken)
Tunesien – Les Aigles de Carthage (Adler von Karthago)

Noch 9 Tage bis zum Afrika-Cup

Ab 20. Januar 2008 wird in Ghana die 26. Afrikameisterschaft ausgetragen.

Über drei Wochen werden die 16 teilnehmenden Nationalmannschaften den Afrikameister ermitteln. Mit Accra, Kumasi, Sekondi und Tamale wird es insgesamt vier Austragungsorte geben. Die Stadien in den beiden erstgenannten Orten fassen je 40.000 Zuschauer, die anderen beiden jeweils 20.000.

Mein Flug ist längst gebucht, ebenso ein Hotel für die ersten drei Nächte.

Und glücklicherweise konnte ich bereits diese Woche für die drei Vorrundenspiele Ghanas (gegen Guinea, Namibia und Marokko) über die Botschaft in Berlin Tickets zu 5 US-Dollar erwerben, während der Vorverkauf vor Ort gerade erst begonnen hat.

Drei aufregenden Wochen steht also nichts mehr im Wege. Akwaaba!

Und wer wie ich auch vom Afrikafieber gepackt ist: Eurosport überträgt die meisten Spiele live.

Phil O’Donnell (1972-2007)

Schottland ist erschüttert. Bei der Erstligabegegnung Motherwell FC gegen Dundee United (5:3) am vergangenen Samstag, den 29. Dezember 2007, brach der Mittelfeldspieler und zweifache Torschütze Phil O’Donnell gegen Ende der zweiten Halbzeit plötzlich bewusstlos zusammen. Nach einer 5-minütigen Behandlungspause, in der man ihn vergeblich zu reanimieren versuchte, brachte man ihn auf schnellstem Wege ins Krankenhaus. Auf dem Weg dorthin verstarb er gegen 17.18 Uhr.

Der 35-jährige Motherwell-Teamkapitän hinterlässt Frau und vier Kinder. Als Todesursache wurde erblich bedingtes Herzversagen angegeben. Damit teilt er das tragische Schicksal anderer Profifußballer wie des Spaniers Antonio Puerta oder des Kameruners Marc-Vivien Foe, die auf ähnliche Weise viel zu früh die große Bühne verließen.

Schottland trauert. Fünf Jahre seiner Karriere verbrachte ‘Uncle Phil’ bei Celtic, wo er bis zuletzt viele persönliche Kontakte und Freundschaften pflegte. Seiner Beisetzung heute Nachmittag wohnten aber auch etliche Spieler, Trainer und Manager anderer schottischer Vereine und der Nationalmannschaft bei, darunter auch Vertreter der Rangers. Auf einmal schien Schottland vereint zu sein, selbst die bittere Rivalität zwischen Celtic und Rangers war plötzlich vergessen. Kein Wunder, dass keiner der Beteiligten mehr Lust auf Fußball hatte. Das für den 2. Januar angesetzte Derby zwischen den beiden großen Glasgower Clubs wurde auf unbestimmte Zeit verschoben.

Schottland macht weiter. Da ich aber gerade wegen des Old Firm Derbys für die letzten Tage nach Glasgow gereist war, musste ich mir die Zeit zwangsläufig anders vertreiben. Aber nicht alle Partien wurden abgesagt. So ging in der Zweiten Liga der reguläre Spielbetrieb weiter, und wie anders als mit Fußball sollte man mit dieser Situation fertig werden? Ich nutzte daher die Gelegenheit das kleine Glasgower Derby zwischen Partick Thistle und Clyde FC (1:1) in Firhill zu besuchen. Ein wahres Fehlpass-Festival auf unterem Regionalliga-Niveau vor 3299 frierenden Zuschauern. Zumindest regnete es nicht.

Sicherlich hatten noch viele der Akteure auf dem Platz und der Zuschauer ihre Gedanken bei O’Donnell und den tragischen Vorkommnissen des letzten Wochenendes.

Rest in Peace, Phil.

Abschließend noch ein paar Impressionen aus Glasgow:

This is Anfield

Eine Eintrittskarte für ein Heimspiel des FC Liverpool zu ergattern, kommt in etwa einem Lottogewinn gleich. Naja, vielleicht übertreibe ich ein wenig, und die Chance auf sechs Richtige ist tatsächlich größer. Die Reds zählen in Europa zu den Clubs, die weit mehr Fans haben als Plätze im Stadion an der Anfield Road zur Verfügung stehen. Selbst in Madrid und Barcelona kommt man leichter an Karten (mit Ausnahme der Partie, in der sie direkt aufeinander treffen). Jahreskarten werden nur begrenzt ausgegeben und in der Regel auch vererbt. Lässt man sich auf die Warteliste setzen, muss man mit etwa 10 bis 12 Jahren Wartezeit rechnen. Und an die überteuerten Hospitality-Tickets kommt man als Normalsterblicher ohnehin nicht ran.

Trotz allem gibt es für jedes Spiel ein gewisses Kontingent, das in den freien Verkauf geht. Um da zum Zuge zu kommen, muss man sich zunächst beim Verein registrieren lassen und eine Fan Card, eine Art Clubausweis, beantragen, um damit das Recht auf einen Kartenkauf zu erwerben. Und dann gilt es zu Beginn des jeweiligen Vorverkaufs drei Wochen vor Spieltermin kräftig in die Telefon- bzw. Computertasten zu hauen. Erfahrungsgemäß bricht der Server des Ticket Office eine halbe Stunde vor Startschuss wegen Überlastung zusammen. Und wie ich aus diversen Fan-Foren erfahren habe, hängt so mancher 4 bis 5 Stunden in der telefonischen Warteschleife, nur um dann eine Ansage vom Band zu hören, dass das Spiel schon ausverkauft ist.

Doch davon ließ ich mich nicht abbringen, es trotzdem zu versuchen. Schließlich hatte ich es sogar bei der WM 2006 viermal ins Stadion geschafft, und dabei zwei Deutschland-Spiele gesehen. Zunächst sah es gar nicht gut aus: Selbst Partien gegen Aufsteiger wie Derby County oder Birmingham City waren in wenigen Minuten ausverkauft, ohne dass ich auch nur einmal in die Nähe des Online-Ticketformulars gekommen wäre. Doch am Morgen des 14. November war es endlich soweit. Diesmal mit vereinten Kräften: h2jr kam schließlich durch und sicherte uns zwei Tickets für den Main Stand, gleich neben dem Gästeblock der Bolton Wanderers. Minutenlang war ich wie benommen. Auch wenn ich nicht wirklich glaube, dass es einen Fußballgott gibt, so war ich in diesem Moment von der Existenz des Fußballfan-Gottes überzeugt.

Mit easyjet ging’s dann drei Wochen später direkt nach Liverpool (John Lennon Airport). Genächtigt wurde im Formule 1 Hotel, der englischen Antwort auf japanische Kapselhotels. Da unser Match erst am Sonntag stattfinden sollte, nutzten wir am Vortag bereits die Gelegenheit in Wigan etwas Premier-League-Luft zu schnuppern. In der Rugby-Hochburg, einem der wenigen Orte Englands, wo Fußball nur die zweite Geige spielt, hatten die Latics im JJB Stadium die ungeliebten Nachbarn von Manchester City zu Gast. Diese brachten einen rund 6000 Mann zählenden lautstarken Support mit und stellten damit rund ein Drittel des Publikums. Nach nur 24 Sekunden gingen die Gäste aufgrund eines katastrophalen Abwehrschnitzers in Führung. Das Team des letzten Torschützen im alten Wembley, Didi Hamann, konnte aber letztendlich den verdienten Ausgleich durch Österreichs EM-Hoffnung und Publikumsliebling Paul Scharner nicht mehr verhindern, und so trennte man sich 1:1. Und Wigan’s Holländer Melchiot flog nach einer rüden Attacke in der letzten Minute noch vom Platz.

Mit dem Nahverkehrszug fuhren wir dann bei Regen in einer guten dreiviertel Stunde zurück nach Liverpool, wo wir uns nach einer Stärkung mit Fish and Chips in die Mathew Street aufmachten, dem Zentrum des nächtlichen Geschehens, wo wir uns unter anderem im legendären Cavern Club die Zeit vetrieben. Als Beatles- und Fußball-Fan kommt man in Merseyside jedenfalls voll auf seine Kosten. Am nächsten Vormittag dann noch ein schneller Besuch im Beatles-Museum im Albert Dock, aber dann setzte schon wieder dieses Kribbeln ein, das Fußballfieber, wie man es eben vor großen Spielen bekommt.

Der Gegner hieß zwar nur Bolton Wanderers, Vorletzter der Premier League, dieser hatte aber als UEFA-Cup-Teilnehmer immerhin den Bayern auswärts ein 2:2 abgerungen und zudem am vorangegangenen Spieltag Man Utd 1:0 geschlagen. Frühzeitig waren wir mit dem Bus zur Anfield Road gefahren, um auch genügend Atmosphäre aufzusaugen. Leider goss es zunächst in Strömen. Aber so ist das eben im englischen Winter: Sehr wechselhaft. Auf Wind und Regen kommt auch wieder Sonne.

Nachdem wir dem Hillsborough Memorial einen Besuch abstatteten, im Fanshop unseres Weihnachtsgeldes entledigten, und den Ground aus allen Winkeln abgelichtet hatten, begaben wir uns auf unsere Plätze. Leider nicht in The Kop, der berühmtesten Fankurve der Welt, sondern im alten Main Stand auf der Gegengerade, aber beklagen möchte ich mich nun wirklich nicht. Bei der Vereinshymne “You’ll never walk alone” läuft es einem kalt den Rücken hinunter. Zu den Schlussakkorden kommen dann die Mannschaften aufs Feld.

Wir bekommen eine dominante Vorstellung der Hausherren zu sehen. Die Trotters kommen eigentlich nur einmal gefährlich vor das gegnerische Tor, als es Anelka fertig bringt, freistehend aus 10 Metern den Ball am Tor vorbeizuschieben. Zur Halbzeit steht es nach Toren von Sami Hyppiä und Fernando Torres 2:0, Steven Gerrard erhöht in der zweiten Hälfte nach einem Foul an Peter Crouch per Elfmeter, bevor Ryan Babel das 4:0 besorgt. Eine klare Angelegenheit, bei der Gerrard und Torres die überragenden Akteure waren.

Liverpool: Reina, Arbeloa, Hyypiä, Carragher (Hobbs 51), Riise, Benayoun, Gerrard, Lucas, Kewell (Babel 67), Torres (Kuyt 76), Crouch.
Subs Not Used: Itandje, Mascherano.

Bolton: Jaaskelainen, Samuel, Meite, Michalik, Gardner, McCann, Campo, Speed, Davies, Anelka, Diouf (Giannakopoulos 66).
Subs Not Used: Al Habsi, Wilhelmsson, Teymourian, Alonso.

Goals: Hyypiä 17, Torres 45, Gerrard 56 pen, Babel 86.

Booked: Diouf, Campo, Michalik.

Att: 43,270
Ref: Steve Bennett (Kent)

Äthiopien im Januar 2005

Äthiopien. Abessinien. Wiege der Menschheit. Das sagenumwobene Land auf dem afrikanischen Kontinent. Das erste in Afrika, in dem sowohl das Christentum als auch der Islam zuerst Fuß fassten. Heimat der legendären Königin von Saba, die einst König Salomon den Kopf verdrehte (siehe Koran und Bibel). Quelle des Blauen Nils. Aufbewahrungsort der Bundeslade, mit der Moses die Gesetzestafeln in Empfang nahm. Auch das einzige afrikanische Land, das nie einer Kolonialmacht gehorchen musste. Aber das alles lässt sich – ebenso wie aktuelle Reisetipps – an anderen Stellen besser nachlesen. Ich beschränke mich daher auf ein paar ganz persönliche Beobachtungen.

Als leidenschaftlichem Reggae-Hörer entging mir natürlich nicht, dass in vielen Stücken die Rede von der Rückkehr ins gelobte afrikanische Herzland ist, ebenso wenig wie die Lobpreisungen auf den letzten äthiopischen Kaiser Haile Ras Tafan Selassie, der einst bei seinem Staatsbesuch in Jamaika wie der Messias empfangen wurde. Ich wurde also neugierig auf dieses unbekannte Land und begann schließlich mit der Reiseplanung.

Afrika Tis Abey - der Blaue Nil unweit seiner Quelle Kaiser Haile Selassie

Wenige Wochen später war ich also im guten, alten Abessinien. Problemlose Anreise, was schon damit begann, dass auf Kanal 7 des Inflight Entertainment Programms der Ethiopian Airlines zur Einstimmung Burning Spear lief.

Addis Abeba, 2370 Meter über dem Meer, blauer Himmel, strahlender Sonnenschein, 25 Grad, und weit und breit keine Hektik oder Stress. So kann’s weitergehen!

Nach ein paar Tagen zur Akklimatisierung in der Hauptstadt, begab ich mich nach Lalibela, wo einige beeindruckende Felskirchen mit farbenprächtigen Wandmalereinen zu bewundern sind.

Kirchliche Wandmalerei Felskirche in Lalibela Bibel in amharischer Schrift


Der nächste Bus nach Weldiya

Nur wenige der Fernstraßen Äthiopiens sind asphaltiert. Staubige Stein- und Sandpisten, große Höhenunterschiede, unwegsames Gelände und schrottreife Verkehrsmittel machen dabei eine Reise von A nach B zur Herausforderung. Der bevorstehenden Strapazen bewusst, buchte ich eine Mitfahrgelegenheit in einem Geländewagen – für die erste Etappe der etwa 500 km von Lalibela nach Aksum, die etwa drei Tage Fahrzeit in Anspruch nimmt. Am nächsten Morgen erscheine ich pünktlich um 5 Uhr am vereinbarten Treffpunkt. Nachts wird hier vernünftigerweise nicht gefahren, und wer schon einmal in Indien unterwegs war, weiß dies zu schätzen.

Und da stehe ich nun in der morgendlichen Kälte und “wart auf des Brummen von an Mercedes Diesel, aber’s brummt ned, brummt ned” (in Anlehnung an einen österreichischen Schlager aus den 80ern). Stattdessen erscheint ein Bote, der mir mitteilt “problem with machine, take bus”. Na gut, schon so früh auf den Beinen, begebe ich mich zum “Busbahnhof”: Das ist der zentrale Platz am Ort, kein Ticketbüro, keine Teestube, nur ein einziger Bus und weit mehr willige Fahrgäste als jemals darin Platz finden könnten, die alle angeregt miteinander diskutieren.

Es dauert eine Weile bis ich herausfinde, um was es geht. Angesichts der großen Nachfrage nach Fahrkarten für Weldiya hatte sich die Bus-Crew erdreistet, kurzerhand den Fahrpreis von 25 auf 35 Birr zu erhöhen.

Verärgerte Fahrgäste informierten daraufhin den Verbraucherschutzbeauftragten der örtlichen Polizeistation, der die gesamte Mannschaft mithilfe einiger Uniformierter in Gewahrsam nehmen lies.

Nun stand der Bus alleine da, und die widersprüchlichen Informationen überschlugen sich. Es solle ein Ersatzbus eingesetzt werden, man wäre auf der Suche nach einem anderen Fahrer, in 10 Minuten geht’s los, bla bla, etc.

Gegen 9 Uhr hatte ich die Schnauze voll, und die Hoffnung aufgegeben, heute noch wegzukommen, checkte ich wieder ins selbe Hotel ein, das ich vier Stunden zuvor verlassen hatte. Dort holte ich erstmal den fehlenden Schlaf nach.

Als ich nachmittags gegen zwei nochmal am Schauplatz vorbei kam, saßen noch immer rund zwei Dutzend Wartender im mittlerweile nur noch einen halben Meter breiten Schatten des (vielleicht) nächsten Busses nach Weldiya. Ich begab mich schließlich zum Flugplatz, um die zeitsparendere, aber wesentlich kostspieligere Variante der Reise nach Aksum zu wählen. Wann der Bus letztendlich auf die Reise ging, habe ich nicht mehr herausgefunden.

Marktplatz in der Provinz Schulkinder Musikladen

Sprachkenntnisse

Tennaystillin! Grundsätzlich, aber vor allem in touristisch weniger erschlossenen Regionen, empfiehlt es sich auf Reisen, mit ein paar Brocken der Landessprache aufwarten zu können. Ich habe mir also gleich zuhause noch einen Amharisch-Sprachführer und eine dazugehörige Audio-Cassette besorgt. Schon bald konnte ich mich mit essenziellen Phrasen wie “Wo geht’s denn zur Post?” oder “Wie viele Tabletten soll ich hiervon einnehmen?” behaupten.

Und wie es sich für einen ordentlichen Touristen gehört, verbringe ich meine Zeit mitunter damit, mir in sengender Mittagshitze archäologisch bedeutsame Steinhaufen anzuschauen. So begab es sich, dass ich mit staubiger Kehle eine Bar betrat.

Übung macht den Meister, dachte ich mir, und so verlieh ich meinem Verlangen mit den Worten “Ant birra iffadigallahu” Ausdruck. Die Schönheit hinter der Theke sah mich daraufhin mit ihren großen braunen Augen fragend an: “Möter?” (Anmerkung: “Möter” ist eine der Inkarnationen des Autors).

Wie vom Blitz getroffen, schossen mir wirre Gedanken durch den Kopf, wie etwa “Sind wir uns in einem früheren Leben schon einmal begegnet?” oder “Hat ihr vielleicht die Wahrsagerin von meinem Kommen berichtet?”. Nach einer rhetorischen Pause von zwei Sekunden (gefühlten acht Minuten) nicke ich zustimmend mit dem Kopf, worauf sie mir eine eiskalte Flasche Bier in die Hand drückt. Gedanken lesen kann sie also auch noch!

Mit einem Grinsen im Gesicht sinke ich zufrieden in einen der noch freien Plastiksessel. Nach einem kräftigen Schluck betrachte ich das Etikett auf der Flasche: Darauf steht zu lesen: Meta Beer – Produce of Ethiopia.

Sei’s drum, ich glaube wieder an die Liebe auf den ersten Blick. Das passiert mir nämlich zurzeit so ungefähr zwei-, dreimal täglich.

Im Café Kleine Schönheit Mittagspause

Durchs Simien-Gebirge

Die Strecke von Aksum nach Gondar beträgt 360 km und geht mitten durchs Simien-Gebirge (mit dem 4545 m hohen Ras Dashen die höchste Erhebung des Landes), und ist in gut zwei Tagen zu bewältigen. Das erste Teilstück bis Inda Selassie (Provinz Shirie) bereitet keine größeren Schwierigkeiten. In diesem staubigen Provinznest wird erst einmal übernachtet. Direkt am Busbahnhof versteht sich, denn bereits im Morgengrauen soll es weitergehen.

Die bescheidene Herberge ist sauber und verfügt über einen gastronomischen Betrieb. Und hier ist es auch, wo ich meine erste Kaffeezeremonie erleben durfte. Die Kaffeezeremonie gilt als wichtiges gesellschaftliches Ereignis.Vollzogen wird sie üblicherweise von der Mutter oder einer der älteren Töchter des gastgebenden Hauses. Eingeladen werden Freunde, Nachbarn – und auch mal ein Durchreisender.

Über einer kleinen Feuerstelle mit Holzkohle werden in einer flachen Pfanne die Kaffeebohnen geröstet und anschließend mit zwei abgerundeten Steinen gemahlen. Der sich dabei freisetzende Kaffeeduft ist unbeschreiblich intensiv. Der Kaffee wird in einem Tonkrug mehrfach aufgebrüht und schließlich in kleinen Tässchen zusammen mit Popcorn serviert. In die noch glühenden Kohlen wird nun Weihrauch gegeben, wodurch der Raum bald nach einer eigenartigen Melange aus Incense und Kaffee duftet.

Nach drei Runden doppeltem Espresso ist jeder Tote wieder zum Leben erweckt, und es wird zu äthiopischer Popmusik getanzt, wobei hauptsächlich mit Kopf und Schultern gewackelt wird. Die Musik erinnert in ihrer Struktur ein wenig an die Klänge wie sie in Ägypten, Nubien und dem Sudan zu hören sind (vgl. Abdel Halim Hafez, Ali Hassan Kuban).

Mittlerweile ist ein zweiter Reisender eingetroffen: Bob, ein 54-jähriger Haudegen aus Las Vegas, der im wahrsten Sinne des Wortes “eine Weltreise macht” und mir bei ein paar Runden St. George Beer unzählige Argumente dafür liefert, warum man ab 40 nicht mehr arbeiten sollte. Wenn man sich das rechtzeitig zum Ziel mache und die Weichen entsprechend stelle, wäre das locker machbar. Schön fand ich auch seinen Vergleich unserer Industriegesellschaft mit einem Hamsterkäfig: Fressen, schlafen und ziellose Runden im Laufrad drehen…

Glücklicherweise erwies sich der Heilige Georg gnädig und beschwerte mir keine Kopf- oder Magenschmerzen, und so konnte die zweite Etappe gelassen in Angriff genommen werden. Um 5.30 Uhr sollte es losgehen – so stand es zumindest auf dem Ticket – allerdings dauerte es bis 7.30 Uhr bis das gesamte Gepäck verstaut und die Fahrgäste in den klapprigen Bus hineingepfercht waren. Vor Sonnenaufgang ist es hier zudem noch ziemlich kalt, und für einen kurzen Augenblick stellte ich mir die Frage, wozu ich denn das alles auf mich nehme. Andere Leute fahren schließlich auch in Urlaub, und legen dabei vor allem Wert auf Komfort und Bequemlichkeit. Sollen sie doch!

Bald aber schon zeigte sich, dass ich von den anderen Passagieren herzlich aufgenommen wurde. Mein Status als Farengi (amharisch für Gringo, farengi = foreigner) brachte mir den vorteilhaften Platz vorne rechts neben dem Fahrer ein. Bei den zahlreichen Tee- und Pinkelpausen beantwortete ich immer wieder aufs Neue dieselben Fragen und werde stets zu Freigetränken eingeladen.

Wieder im Bus machte ich es mir vorne im Cockpit bequem, während mich die beiden Gepäck-Fritzen mit reichlich Qat (Kat, Chat) versorgten. Die Blätter dieser im äthiopischen Hochland und in Südarabien heimischen Kulturpflanze werden so lange gekaut, bis sich ein zunächst bitterer, aber zunehmend angenehmer schmeckender Sud bildet. Das ganze wirkt leicht narkotisierend und bekämpft das Hungergefühl. Aufgrund eines früheren Aufenthalts in einem jemenitischen Ausbildungslager konnte ich mit Fachsimpelei über Qualität und Herkunft der Blätter überzeugen und selbst dem etwas verschlossen wirkenden Fahrer ein Lächeln entlocken.



Kaffeezeremonie Versorgung mit Qat im Bus Marktweiber

Irgendwie lustig war dann auch die Situation, als sich ein muslimischer Händler dazugesellte und – ebenso die Backen mit Qat vollgestopft – mir in gebrochenem Englisch versuchte, die Vorzüge des Islam näher zu bringen. Zu verstehen war kaum etwas, doch durch geschicktes Einstreuen zufällig ausgewählter Schlagwörter wie “Mekka” oder “Mohammed” konnte ich mein Interesse bekunden und zu seiner Zufriedenheit beisteuern.

Mittlerweile schraubten wir uns über Serpentinen auf Passstraßen auf etwa 3000 m in die Höhe. Alleine die Aussicht auf die grandiose Bergwelt war die Strapazen der Fahrt schon wert und dem zweifelsohne bequemeren Inlandsflug vorzuziehen. Auf ein paar andere Programmpunkte dieser “All inclusive”-Reise hätte ich aber gerne verzichtet: z.B. auf sich übergebende Frauen, den geplatzen Hinterreifen und der damit verbundenen Zwangspause jenseits von einem einzigen Zentimeter Schatten, oder die gleichmäßig auf Gesicht und Kleidung verteilte rotbraune Staubschicht. Etwa eine Stunde vor Erreichen des Zielortes ging uns dann auch noch der Sprit aus. Ein entgegenkommender Lkw konnte aber noch etwas entbehren, und so kamen wir nach 12 erlebnisreichen und unterhaltsamen Stunden in der Provinzhauptstadt Gondar an.

Der muslimische Geschäftsmann half mir noch bei der Zimmersuche und sorgte dafür, dass ich keinen Touristenpreis zahlen musste. Aus dem Date mit der 21-jährigen Studentin, mit der ich unterwegs zusammen zu Mittag gegesen hatte, wurde aber leider nichts. Unter der Telefonnummer, die sie mir gegeben hatte, erreichte ich nur ihre Mutter, die mir wiederholt mitteilte, dass Frwoyne lernen müsse und keine Zeit hätte. Schade. Aber dafür macht sie bestimmt einen guten Abschluss.

In Gondar besuchte ich die Festlichkeiten zum Timkat-Fest, an dem die Taufe Jesu gefeiert wird. Zusammen mit Ostern und Weihnachten ist das der höchste Feiertag im äthiopisch-orthodoxen Kalender. Es gibt eine Prozession quer durch den Ort, bei der quasi die ganze Stadt auf den Beinen ist und hohe Geistliche von Klosterschülern, Trommel- und Bläsergruppen sowie Gläubigen in festlicher Kleidung begleitet werden.

Kaffeepause in geselliger Runde Prozession zum Timkat-Fest In der Bar

Über die Zeit

Heute, am 1. Februar 2005, schreiben wir in Äthiopien den 24.5.1997. Hier wird nämlich der Julianische Kalender verwendet. Demnach hat das Jahr 13 Monate: Zwölf Monate á 30 Tage sowie einen Monat mit 5 bzw. 6 Tagen (Schaltjahr).

Damit nicht genug. Auch die Uhr wird anders gelesen. Man verwendet ein 12-Stunden-System, wonach der Tag und die Nacht in jeweils zwölf Stunden eingeteilt werden. Der Tag beginnt nach der uns bekannten Zählweise um sechs Uhr morgens und endet um sechs Uhr abends, wenn die Nachtzählung beginnt. 3 Uhr äthiopischer Zeit entspricht also 9 Uhr unserer Zeit (ob Tag oder Nacht muss natürlich dazugesagt werden). Um also die korrekte “internationale” Zeit zu erhalten, kann man entweder einer beliebigen äthiopischen Zeit sechs Stunden hinzuzählen oder die gegenüberliegenden Zahlen auf dem Zifferblatt miteinander tauschen (z.B. die 11 gegen die 5. Denn 5 Uhr äthiopischer Zeit entspricht 11 Uhr internationaler Zeit).

Dieses System wird übrigens auch in weiteren Ländern Ostafrikas verwendet, so etwa in Kenia und Tansania.

Verwirrend? Alles nur eine Sicht der Dinge…

Lee “Scratch” Perry

OK, let’s take it from here…

Rainford Hugh Perry, besser bekannt als Lee “Scratch” Perry, geboren am 20. März 1936 in Kendal (Hanover), Jamaica, ist zweifelsohne einer der bedeutendsten und einflussreichsten Musiker, Sänger und Produzenten des 20. Jahrhunderts. Wie kein anderer prägte er die Entwicklung von Ska, Reggae und Dub. Und kaum jemand trat unter so vielen Pseudonymen auf wie er: The Upsetter, Pipecock Jackxon, Captain McKay, The Wonderman, Super Ape, Jamaican E.T., etc.

Lee Scratch Perry on the wire

Nachdem er anfänglich für Clement “Coxsone” Dodd’s Downbeat Sound System und dessen Studio One arbeitete, und sich später mit dem Produzenten Joe Gibbs zusammentat, begann sein Siegeszug spätestens 1968 mit der Gründung seines eigenen Upsetter Labels und seiner gleichnamigen Studioband.

Bald schon gingen bei ihm Reggae-Größen wie Bob Marley & the Wailers, Max Romeo, Junior Murvin, The Congos, The Heptones, The Silvertones und Junior Byles ein und aus. Mit Return of Django landete er zusammen mit den Upsetters als erster überhaupt einen Hit außerhalb Jamaikas, noch bevor Bob Marley dies Jahre später gelang. Und zwar in England, wohin viele Auswanderer aus der Karibik gekommen waren.

Zu jener Zeit war es üblich, die B-Seite einer Single einfach mit der Instrumentalfassung des Songs zu füllen. Lee Perry gab sich damit aber nicht zufrieden, sondern begann, nachdem die Bands und Sänger das Studio verlassen hatten, die Stücke neu zu arrangieren. Der Remix war geboren (der Begriff an sich noch nicht, zunächst wurde dieser als “Version” oder “Dub” bezeichnet). Er spielte mit Höhen und Tiefen, setzte die Reihenfolge neu zusammen, nutzte Echos und Verzerrungen, und verwendete zahlreiche Soundeffekte – von Tiergeräuschen und Pistolenschüssen über Wasserplätschern und zerbrechendem Glas bis hin zu eigenen Gesangseinlagen und Interpretationen. Als Motto dienten dazu gerne Spaghetti-Western, Kung-Fu-Filme oder große Boxkämpfe.

Um das alles an den Mann zu bringen, übernahm er in Kingston den Plattenladen von seinem Kumpel Prince Buster und nannte ihn – wie auch anders – Upsetter Record Shop. Die exklusiven Upsetter-Scheiben, die es anfangs eben nur hier zu bekommen gab, waren der Renner bei den lokalen DJs. Der Begriff “DJ” war damals in Jamaika noch anders belegt als heute. Die Rolle des DJs bestand nicht nur aus der Auswahl und Aneinanderreihung der passenden Tracks, sondern war vielmehr begleitet von Sprechgesang und anheizenden Kommentierungen.

Upsetter record label

1973 eröffnete Perry das Black Ark Studio, das meines Erachtens seine kreativste Phase einläutete und damit den Höhepunkt seines Schaffens verkörpert. Dort entstanden Meilensteine der Musikgeschichte wie Police and Thieves, War in a Babylon, The Heart of the Congos, Super Ape, Chase the Devil usw. Einen guten, aber bei weitem nicht vollständigen Überblick bietet dazu die 3er-CD-Box Arkology, die ich jedem interessierten Leser ans Herz legen möchte (erschienen beim Island Label).

Gegen Ende der Siebziger Jahre wurde es dem Meister zu stressig: Schutzgelderpresser und Schmarotzer machten ihm zu schaffen, die Aufnahmesessions waren zunehmend von Ganja- und Alkohlexzessen begleitet, Island Records fand immer weniger Gefallen an seinen Experimenten, und schließlich kam es auch noch zu einer Krise mit seiner damaligen Frau Pauline, von der er sich später trennte. Zu dieser Zeit scheint sich Lee Perry zunehmend von der irdischen Welt zu verabschieden und noch durchgeknallter zu werden. Er ist davon überzeugt, dass Black Ark verhext sei und er die Flucht nach vorne angehen müsse. Er zieht zunächst nach New York, wo er mit unbedeutenden lokalen Reggae-Bands zusammenarbeitet, aber u.a. auch mit der englischen Punk-Combo The Clash auftritt. Nach einer Weile im Exil kehrt er in die Heimat zurück.

Und eines Tages 1983 brannte das legendäre Black Ark Studio ab, und mit ihm viele unveröffentlichte Aufnahmen. Die genaueren Umstände wurden nie aufgeklärt. Ob es nun Brandstiftung war, ein technischer Defekt, oder – wie Perry oft selbst behauptete – er selbst, kann bis heute keiner wirklich belegen.

The pizza man from Switzerland

Das Black Ark Studio war zerstört, und mit ihm sein Gründer. Er schien keinen Halt mehr zu finden und ergriff erneut die Flucht – diesmal nach England, wo er zunächst auch nicht richtig Fuß fassen konnte und zu oft an die falschen Leute geriet. Mit dem Album Battle Of Armagideon gelang ihm aber 1986 schließlich ein Neuanfang. Time Boom X De Devil Dead und From My Secret Laboratory folgten. Zu dieser Zeit, Anfang der Neunziger Jahre, stieß ich selbst zum ersten Mal auf seine Musik – und ich war begeistert. Damit begann mein Interesse am und meine Liebe zum Reggae. Nach der Black Ark Ära war das wohl seine bedeutendste Schaffensperiode. Zu jener Zeit war Perry bereits in die Schweiz emigriert, wo er bis heute in einem Züricher Vorort wohnt.

Es folgten einige weitere Alben unterschiedlicher Qualität. Hervorzuheben bleibt neben seiner produktiven Kollaboration mit Mad Professor die Zusammenarbeit mit den Beastie Boys, in deren Grand Royal Fanzine er zunächst gefeatured wurde und damit einem neuen Publikum zugänglich gemacht wurde. Schließlich verewigte er sich auf deren Album Hello Nasty mit einem gemeinsamen Song (Dr. Lee, Ph.D.).

An der Erstellung einer umfassenden und abschließenden Diskographie haben sich übrigens schon viele versucht – und sind gescheitert. Lee Perry produzierte einfach unter zuvielen verschiedenen Namen und das bei zahlreichen Labels. Bootlegs und Schwarzpressungen gibt es ebenso in Hülle und Fülle. Selbst für ernsthafte Sammler ein unerschöpfliches Feld.

In Berlin gastierte er zuletzt am 2. Dezember 2005 im Kesselhaus, wo ich ihn zusammen mit seiner schweizerischen Combo White Belly Rats in tradtionellem äthiopischen Gewand bewundern konnte.

Als Tipp zum Reinhören empfehle ich Radio Scratch, einen Podcast von Mick Sleeper aus Kanada. In jeder einzelnen Ausgabe beschäftigt er sich mit einem bestimmten Aspekt des Werkes von Lee Perry.

Armenien im Mai 2007

Barev dzez, inchpes ek? Das heißt auf armenisch etwa so viel wie “Hallo, wie geht’s?”. Es folgt ein Bericht über meine im Mai 2007 angetretene Reise nach Armenien.

Yerevan Hauptbahnhof Yerevan Straßenszene in Yerevan

Der Legende nach kamen die Armenier zu spät, als Gott die Welt unter den Völkern aufteilte. Da war nur noch ein Fleckchen steiniger Boden im südlichen Kaukasus übrig. Und tatsächlich sind nur rund 20% der Fläche der heutigen Republik Armenien für den Ackerbau nutzbar. Den Rest machen Berge, Wälder und Weideflächen aus. Etwa 90% des Landes liegen über 1000 Meter. Armenien befindet sich in einem seismografisch aktivem Gebiet. Bei dem jüngsten Erdbeben 1988 kamen rund 25.000 Menschen ums Leben.

In der Vergangenheit teilten sich abwechselnd Perser, Osmanen und Russen das Land unter sich auf. Die größte Tragödie der armenischen Geschichte war zweifelsohne der Völkermord in den Jahren 1915 bis 1917, bei dem rund 1,5 Millionen Armenier den Tod fanden. In den Siedlungsgebieten der heutigen Osttürkei (vor allem im Gebiet um den Van-See) wurden quasi alle Menschen des Volksstammes ermordet oder vertrieben. Von den heute rund sieben Millionen Armeniern weltweit macht die vor allem in den USA und Frankreich lebende Diaspora vier Millionen Menschen aus, mehr als in der heutigen Republik leben.

In den Jahren 1918 bis 1920 genoss man zwischenzeitlich die Unabhängigkeit, als dann das Land Teil der Sowjetunion wurde. Mit deren Zusammenbruch kam 1991 erneut die Unabhängigkeit, die wiederum einen blutigen Konflikt mit dem Nachbarn Aserbaidschan um die Region Bergkarabach mit sich brachte. Seit 1994 ruhen die Waffen. Die aus dem Krieg hervorgegangene Republik Nagorny Karabach wird bis heute nur von Armenien anerkannt und ist nur von dort aus zugänglich. Die Grenzen zu Aserbaidschan sind ebenso wie die zur Türkei geschlossen. Mit den Nachbarn in Georgien und Iran pflegt man hingegen freundschaftliche Beziehungen.

Warum also Armenien als Reiseziel? Spontan kann ich das nicht wirklich beantworten, aber ein generelles Interesse an fremden Kulturen, der Geschichte und den Menschen, eine gewisse Portion Abenteuerlust und die Neugier auf die unbekannte Sprache, die Musik und das Essen mögen mir genug Grund sein. Wie kommt man nun dorthin? Mit der Aeroflot? Klar. Aber den Flughafen Sheremetyevo in Moskau dürfte ich schon mal kennen lernen, und das reicht fürs erste auch. Ich habe mich schließlich für die Austrian Airlines entschieden, nur 3 Stunden 20 Minuten ab Wien.

Kloster Khor Virap und Berg Ararat Opernhaus in Yerevan Landschaft bei Geghard

Leider kommen fast alle internationalen Flüge weit nach Mitternacht, aber noch lange vor Tagesbeginn am Flughafen Zvartnots der Hauptstadt Yerevan an. Kurz vor fünf Uhr morgens eingetroffen, war ich erstmal mit Visumbeschaffung, Geldwechseln und Zoll beschäftigt, sodass ich die Zeit bis Sonnenaufgang gut überbrücken konnte. Dann wollte ich mit dem Bus in die Stadt fahren. In der Ankunftshalle traf ich aber zwei Schweizer, die ebenso wie ich gerade das erste Mal Fuß auf armenischen Boden gesetzt haben und vergleichbar desorientiert wirkten. Ich fragte, ob wir uns denn ein Taxi in die Stadt teilen könnten. Wie sich herausstellte, warteten die beiden aber auf den Repräsentanten einer Autovermietung, da sie sich einen Lada Niva, einen Geländewagen, leihen wollten, um das Land auf eigene Faust zu erkunden. Nach ein paar Minuten war der Vertrag abgeschlossen, der Wagen übergeben und ich hatte eine kostenlose Mitfahrgelegenheit in die Innenstadt. Zugegebenermaßen handelte es sich dabei um ein nicht ganz den mitteleuropäischen Standards entsprechendes Vehikel ohne Sicherheitsgurte, kaputter Lüftung und mit ziemlicher schwergängiger Schaltung. Die zwei werden sicherlich noch viel Freude damit gehabt haben.

Nur ein einziges Mal sollte ich übrigens während meiner Reise in den Genuss eines Sicherheitsgurtes kommen, was ich gegenüber dem Fahrer sogleich mit Daumen nach oben und den Worten “shet lav” (sehr gut) anerkennend zum Ausdruck brachte. Dieser hatte nur ein süffisantes Grinsen zur Antwort, und einen Ausdruck in seinen Augen, der mir verriet, dass es sich hierbei in Wirklichkeit nur um unnötigen Schnickschnack handelt.

Taxifahrer Garik mit seinem Wolga Treppen zum Freiheitsdenkmal In der Kirche

Gegen sieben Uhr war es mittlerweile hell geworden, und Yerevan präsentierte sich an diesem Samstagmorgen nicht gerade einladend. Der Regen, der in der Nacht – wie auch in der Woche zuvor – herrschte, hatte zwar aufgehört, aber die Luft war feucht und kalt, und es roch nach nassem Beton. Um diese Zeit war die Stadt noch menschenleer.

In der Tasche hatte ich eine Adresse aus dem Internet. Da es quasi keine Hotels der unteren oder mittleren Preisklasse gibt, sind einige Privathaushalte auf die Idee gekommen, Zimmer an Touristen zu vermieten. Ehrlich gesagt wollte ich aber so früh niemanden aus dem Schlaf reißen, und so drehte ich erstmal eine Runde durch die umliegenden Straßen. Weit und breit keine Menschenseele. Schließlich ein kleiner Laden, an dem ich mit einem spartanischen Frühstück versorgen konnte: zwei Stück Gebäck und eine Flasche Wasser.

Kurz darauf bezog ich meine Unterkunft direkt im Zentrum am Opernplatz. Meine Vermieterin, Anahit, lebt dort mit ihren beiden Söhnen in einer riesigen 5-Zimmer-Wohnung und vermietet drei der Räume an Reisende. Ich wurde herzlich empfangen, mit Tee und noch mehr Gebäck versorgt, und nach kurzer Körperpflege legte ich mich erstmal drei Stunden hin, um den fehlenden Schlaf nachzuholen. Schließlich hatte ich die Nacht durchgemacht.

Gegen Mittag machte ich mich dann auf erste Erkundungstour. Mittlerweile war auch Leben in die Stadt gekommen und es wurde angenehm warm. Da sah die Welt schon wieder anders aus. Zur Stärkung gab’s als erste Mahlzeit in einem der zahlreichen Cafes unter freiem Himmel Lammfleischspieße mit Lavash (dünnem Fladenbrot), Bratkartoffeln und Tomaten-Gurken-Salat. Die armenische Küche sollte mich in den kommenden zwei Wochen noch des öfteren begeistern. Diese ist vergleichbar mit der Kost im Nahen und Mittleren Osten, und wer gerne Türkisch, Libanesisch oder Persisch isst, kommt auch in Armenien voll auf seine Kosten. Khorovats (gegrilltes Fleisch am Spieß), Kebabs in diversen Variationen, Fladenbrot, Schafskäse, Auberginen, Joghurt, frische Kräuter, Dolma (mit Reis, Linsen und/oder Hackfleisch gefüllte Kraut- oder Weinblätter), mit Nüssen gefülltes getrocknetes Obst und viele Köstlichkeiten mehr.

Armenische Spezialitäten Völkermord-Mahnmal Hrazdan-Stadion in Yerevan

Die Aprikose (lat. Armeniaca vulgaris) stammt übrigens von hier. Leider kam ich vor der Erntezeit. Wie mir einige Leute versicherten, sollen sie auch nirgendwoanders so gut schmecken wie in Armenien. Wodka wird traditionell nur zum Essen getrunken – im Gegensatz zu Russland. In der Regel mit nicht enden wollenden Trinksprüchen und Lobesreden auf einen der Anwesenden.

Ich beschloss, die nächsten Tage erst einmal in der Hauptstadt zu bleiben und von hier aus Tagesausflüge zu unternehmen. Das Land ist von seiner Größe her überschaubar, und viele Ziele sind bequem in einem Tag zu erreichen. Dazu gibt es folgende Möglichkeiten: entweder ein Taxi mieten, an einer organisierten Tour teilnehmen oder auf eigene Faust mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Ich entschied mich zunächst für letztere Option. Die Maschrutkas, wie die Minibusse für 10-15 Passagiere hier genannt werden, funktionieren nach dem gleichen Prinzip wie überall auf der Welt (mit Ausnahme westlicher Industrienationen). Abfahrt ist an einem festgelegten Ort, los geht es, sobald der Wagen voll ist, und unterwegs kann jeder ein- oder aussteigen, wo er möchte. Will man unterwegs zusteigen, gibt man dies vom Straßenrand per Handzeichen zu erkennen. Wenn noch irgendwie ein Plätzchen frei ist, wird man mitgenommen. In einer Stunde schafft man damit etwa 30-50 km (je nach Straßenverhältnissen), was dann rund 50 Cent macht.

Autobahnraststätte auf armenisch Immer wieder grandiose Landschaften Der einsame Wandersmann

Es ist mir allerdings wiederholt passiert, dass ich wartend herumstehe, und schon hält ein Privatfahrzeug und ich werde gefragt, wohin ich denn wolle. Oft wird man dann bis vor die Haustür gefahren. Einmal hat ein netter, redseliger, aus dem Iran stammender Armenier namens Mikayel, der sich sehr über die Namensgleichheit mit mir freute, einen Umweg von mehr als einer Stunde gemacht, um mich zurück nach Yerevan zu bringen. Auf dem Weg dorthin musste getankt werden, nicht etwa Benzin, sondern Erdgas. Dieses kommt günstig aus Russland und Turkmenistan und kostet nur etwa die Hälfte vom Benzin. Viele Wagen wurden umgerüstet und haben einen Gastank im Kofferraum. Busse haben oft mehrere Flaschen auf dem Dachträger montiert. Man mag sich nicht vorstellen, was da bei einem Unfall passieren kann. Jedenfalls spendierte ich ihm die Tankrechnung (etwa 5 Euro), und wir schworen uns ewige Freundschaft. Wenn im September in seinem Dorf Weinernte ist, müsse ich unbedingt kommen, das wäre die schönste Zeit des Jahres. Mit dem Wetter hatte ich auch richtig Glück. Während die erste Maihälfte noch ziemlich verregnet war, erlebte ich zwei Wochen uneingeschränkt Sonnenschein und angenehme Temperaturen.

Meine Ausflüge führten mich an diverse Stätten kulturellen Interesses in der näheren Umgebung. Darunter das religiöse Zentrum der armenisch-apostolischen Kirche Edjmiazin mit seiner imposanten Kathedrale, der Tempel von Garni im griechisch-römischen Baustil sowie das Kloster von Geghard, das eingebettet in einer spektakulären Berglandschaft liegt. Von Khor Virap (ein weiteres Kloster), das am Fuße des biblischen Berges Ararat liegt, hat man eine fantastische Sicht auf den heiligen Berg der Armenier, der nur durch einen kleinen Grenzfluss getrennt auf türkischem Gebiet liegt und somit unzugänglich ist.

Kloster Sevan Bergsee Sevan Khorovats-Grill am Straßenrand

Die Armenier stammen der Legende zufolge in direkter Linie von einem Ur-Urenkel Noahs namens Hayk ab. In der Landessprache heißt das Land daher auch Hayastan (Land des Hayk). Selbst die damalige armenische Sowjetrepublik hatte den Ararat im Wappen, worauf ein türkischer Offizieller Protest anmeldete, da es sich ja dabei um einen Berg in der Türkei handle. Die Antwort kam prompt und treffend: Beanspruchen die Türken denn den Mond für sich? Schließlich ziert dieser als Halbmond deren Flagge.

Zum tiefblauen Bergsee Sevan auf 1915 Metern über dem Meeresspiegel kommt man auch bequem von Yerevan. Die Straße dorthin ist die mit Abstand beste im Land, fast ohne Schlaglöcher. Die dortige Halbinsel Sevanavank, zu der ich hinauswanderte, erwies sich als ruhiger, idyllischer Ort, wenn auch aufgrund der Höhenlage als etwas frisch.

Dort machte ich dann die Bekanntschaft mit drei jungen Leuten, wovon zwei (Hayk und Ann) aus Yerevan waren und die ihre Freundin Lilit, die in den USA lebt und nach sieben Jahren wieder in die Heimat gekommen war, auf ihrer Reise durch die alte Heimat begleiteten. Alle drei sprachen ausgezeichnetes Englisch, was hierzulande eher selten ist, und waren sehr freundlich und vor allem interessiert, was mich denn hierher führe. In der Regel haben Touristen aus dem Ausland auch einen armenischen Background. Fremde hingegen kämen nur selten. Nachdem wir uns einige Zeit angeregt unterhielten, fragten sie mich, ob ich denn nicht einfach mitkommen wolle. Sie fahren noch nach Tseghadzor und am Abend zurück nach Yerevan. Ich nahm das Angebot dankend an. Wir verbrachten einen schönen Tag und machten auf dem Weg zurück noch Pause in einem Restaurant.

Schweine am Wegesrand Kiosk In angenehmer Gesellschaft

Als ich dann die Rechnung übernehmen wollte, wäre es beinahe zum Eklat gekommen. Schließlich wäre ich der Gast im Land und müsse daher nicht für die Kosten aufkommen. Das war mir dann schon richtig peinlich, wohl auch weil derlei Gastfreundschaft in unseren Breitengraden heute einfach nicht mehr üblich ist. Aber ich denke, so muss es vor Jahrzehnten noch vielerorts auf der Welt gewesen sein, bevor das Phänomen Massentourismus einsetzte, und ausländische Besucher – wo auch immer – entweder als Geldesel oder als störend eingestuft werden. Ich sprach eine ernst gemeinte Einladung nach Berlin aus und versprach, mich auf jeden Fall entsprechend zu revanchieren, sollte das denn mal klappen.

Nachdem ich Fragen zu meinem beruflichen Schaffen beantwortete, bestätigte Hayk, dass er selbst begeisterter PayPal-Nutzer ist (“it’s a great way to transfer money internationally”), und dass mobile.de die beliebteste Website in Armenien ist, da es einen richtigen Geschäftszweig gibt, deutsche Gebrauchtwagen zu erwerben und über den Balkan, die Türkei und Georgien nach Armenien zu bringen. Nachdem ich ihn nach seiner E-Mail-Adresse fragte, gab er mir seine Skype-ID (“that’s faster to communicate”). Neukunden konnte ich an diesem Tag also keine werben…

Die Abende in Yerevan verbrachte ich meist zusammen mit Reisebekanntschaften, meiner Vermieterin Anahit, und neu gewonnenen Freunden mit Restaurant- und Konzertbesuchen. Das geht meist in Einklang. Denn in vielen Lokalen und Bars gehört Livemusik einfach dazu, von traditioneller Volksmusik mit Duduk (Flöte), Dhol (Trommel) und Oud (Laute) über russischen Disco-Pop, bis hin zu Jazz und Rock.

Eines abends bei einem Rhythm’n'Blues-Konzert (stilistisch irgendwo zwischen Rolling Stones, Blues Brothers und Motown) fragte ich mich einige Zeit, ob denn die Band wirklich so lange spielt, bis irgendwann weniger Gäste als Bandmitglieder anwesend sind. Nach vier Stunden war dann auch Schluss. Bei Bierpreisen von etwa einem Euro pro halben Liter hielt sich die Zeche auch in Grenzen… Hier ist übrigens mein persönliches Ranking der vier armenischen Brauereien: 1. Gyumri, 2. Kotayk, 3. Kilikia, 4. Erebuni. Wobei die Positionen 1 und 2 sowie 3 und 4 jeweils dicht beieinander liegen, dazwischen aber eine große Lücke klafft.

Aber auch die hohe Kultur stand auf dem Programm. Das Opernhaus von Yerevan galt schon zu Sowjetzeiten als renommiert (wenn auch weitgereiste Einheimische sagen, dass man mit Moskau nicht mithalten könne). So besuchte ich zunächst die Oper “Arshak II” von Tigran Chukhadzhyan, basierend auf der Geschichte des im 4. Jahrhundert herrschenden Perserkönigs. Ein wunderbares Werk. Ich bin ja nicht gerade als Opernfreund bekannt, aber die Vorstellung hat mich wirklich begeistert. Der Komponist mag jetzt nicht jedem was sagen, aber die Armenier haben tatsächlich einige große Künstler hervorgebracht. So stammt auch der berühmte Säbeltanz aus armenischer Feder (Aram Khatchaturian). Weitere Prominente armenischer Herkunft: Gari Kasparow, Andre Agassi, Charles Aznavour, Cher, Kirk Kerkorian, Alain Prost, System of a Down.

Meine neugewonnene Begeisterung für die Oper veranlasste mich, einige Tage später auch eine Inszenierung von Giuseppe Verdis “La Traviata” zu besuchen. Ich hätte nicht gedacht, dass ich mich derart dafür begeistern kann. Aber das ist eben ganz anders als im Fernsehen… Tolles Bühnenbild, wunderbarer Gesang, prachtvolle Kostüme, komplettes Orchester, alles was dazugehört. Keine halbe Sache, wie man bei den Ticketpreisen vermuten könnte. Die teuersten Plätze kosten sage und schreibe mal sechs Euro – die Eintrittspreise wurden wohl seit Jahrzehnten nicht erhöht. Auch das Philharmonische Orchester habe ich mir nicht entgehen lassen. Unter Leitung des georgischen Gastdirigenten Vadim Shubladze gab es Werke von Wagner, Schubert und Beethoven zu hören. Ein schöner Abschluss am letzten Abend vor meiner Rückreise.

Aber zurück zu meiner Reisetätigkeit. Nach einer Woche in Yerevan und diversen Tagesausflügen machte ich mich auf in den Süden in die Region Syunik. Die Fahrt an meinen Zielort Sisian dauerte etwa vier Stunden und führte über einige Gebirgspässe, wobei am Vorotan-Pass auf 2344m noch Schnee lag. Ich teilte den komfortablen Mercedes Sprinter mit einer Gruppe junger Soldaten auf dem Weg nach Nagorny Karabach, wovon einige englisch sprachen und einer sogar ein wenig deutsch. Die Rekruten hatten ebenso wie der Fahrer sichtlich Spaß mich aufzuziehen (“you come to Karabagh with us, join the Army”). Da ich aber andere Pläne hatte, musste ich ihnen leider eine Absage erteilen.

Hotel Dina in Sisian Landschaft im Süden Gartenlokal am Rande Yerevans

In Sisian angekommen checkte ich ins Hotel Dina ein, und wie mir erst hier wirklich bewusst wurde, gab es auf dem Land nicht viel. Abgesehen von Wanderungen durch die Natur konnte man sich kaum die Zeit vertreiben. Zumindest hatte ich ein Hotelzimmer, das sauber und angenehm war, und wo man sich irgendwie in alte Sowjetzeiten zurückversetzt fühlte (auch wenn ich das selbst nie erlebte). Und eine Gaststätte am Fluss, wo eine Speisekarte überflüssig war, da es ohnehin nur gegrilltes Schweinefleisch gab, welches eher minderer Qualität war, sodass ich mich am Folgetag mit Käse, Tomaten und Fladenbrot vom Markt selbst versorgte. Nach 18 Uhr wurden die Bürgersteige hochgeklappt, und das ohnehin langweilige Städtchen vermittelte dann eher den Eindruck einer Geisterstadt.

Die Empfangsdame vom Hotel war mir bei der Beschaffung eines Taxis für den nächsten Tag behilflich. Für einen Tagestarif von rund 20 Euro hatte ich also einen Fahrer und wir begaben uns auf den Weg in die Berge zu einer der größten Attraktionen des Landes, dem Kloster von Tatev, das sich in einer abgelegenen Region auf einem Berggipfel befindet. Wie viele der alten Kirchen und Klöster im Lande stammt auch dieses aus dem 8. Jahrhundert. Die Fahrt dorthin führte uns über eine der übelsten Pisten des Landes, mit teilweise von Erdrutschen und Steinschlägen malträtierten Serpentinen, ungeteerten Abschnitten und Schlaglöchern, die eher die Bezeichnung Krater verdienten.

Garik, mein Fahrer, beherrschte aber seinen alten Wolga wie kaum ein anderer, und die Aussicht war nach jeder Kurve immer wieder überwältigend. Auf dem Rückweg hielten wir noch bei Karahunj, dem “armenischen Stonehenge”, einem Ensemble von rund 200 in Kreisform platzierten Steinblöcken, die jeweils 2-3 Meter groß sind und die etwa aus der Zeit um 2000 v. Chr. stammen. Genauerer Zweck und Bestimmung sind bis heute unbekannt. Die meisten weisen circa 5 cm große, kreisrunde Löcher auf, die aber nach heutigen Erkenntnissen für eine etwaige Sternenbeobachtung ungeeignet gewesen waren. Eventuell handelte sich einfach um eine heidnische Kultstätte. Trotz fehlender Erklärung (oder gerade deswegen) ein faszinierender Ort.

Nach drei Tagen im Süden, wo es überraschend kühl war, ging es für mich dann wieder zurück ins mittlerweile richtig sommerliche Yerevan. Ich war froh wieder in meiner komfortablen Unterkunft bei Anahit angekommen zu sein. Die Atmosphäre dort erinnerte eher an eine Wohngemeinschaft als an eine Pension oder gar ein anonymes Hotel.

Wiederum ergab sich ein gemeinsamer Abend mit den anwesenden Übernachtungsgästen und unserer liebenswerten Vermieterin, die uns diesmal an einen ganz besonderen Ort führte. Am südlichen Ende der Stadt wird Yerevan durch eine Schlucht von den dahinterliegenden Stadtteilen getrennt. Folgt man dem Weg in die Schlucht, wähnt man sich binnen weniger Minuten in wildester Natur. Rundherum alles grün, der Fluss rauscht nebenan und inmitten dieser Szenerie befindet sich ein grandioses Lokal im Freien, Biergartenatmosphäre, wiederum mit Livemusik und Tanzfläche, wo die Nacht zum Tag gemacht wird. Das Essen ist hervorragend und wesentlich günstiger als in der Stadt. Mit fünf, sechs Leuten am Tisch kann man getrost einmal die Speisekarte rauf und runter bestellen und alles mal probieren. Das Brot (Lavash) wird vor Ort traditionell im Erdofen zubereitet (nach dem Prinzip des indischen Tandoor), und man wünscht sich, der Abend würde nicht zu Ende gehen.

Am nächsten Tag standen weitere Besichtigungen in Yerevan auf dem Programm: zum einen das Genozid-Mahnmal und Museum (mit ergreifenden zeitgeschichtlichen Dokumenten und Fotografien aus der Zeit des Völkermords) sowie das Manuskript-Museum (Matenadaran), welches uralte illustrierte Bibelübersetzungen und kostbare Schriftstücke in Handschrift beherbergt (darunter auch Dekrete von Napoleon und aus der russischen Zarenzeit).

Armenisches Alphabet Russischer Disco-Pop Im Opernhaus

Gegen Mitternacht (3 Stunden Zeitunterschied zu Mitteleuropa) hatte ich dann das zweifelhafte Vergnügen, das Champions-League-Finale per Satellit ausgerechnet auf dem italienischen Sender Rai Uno zu sehen. Nicht nur weil ich Liverpool die Daumen drückte, gingen mir die ständigen Lobeshymnen, wie toll denn die Mailänder seien (auch wenn ich nicht viel italienisch verstehe) ziemlich schnell auf die Nerven. Noch dazu war deren erstes Tor irregulär, da der Ball klar von Inzaghis Arm abgefälscht wurde. Sei’s drum. When you walk through a storm, hold your head up high!

Über den Ausgang der Deutschen Meisterschaft konnte ich mich aufgrund fehlenden Internetzugangs in der Provinz nur zwei Tage zeitversetzt informieren. Aber das war eher nebensächlich, und Stuttgart ist im Vergleich zu Schalke vielleicht das kleinere Übel, auch wenn es Schwaben sind. Genug dazu. Ich weiche vom eigentlichen Thema ab…

Am Donnerstag vor meiner Abreise beschloss ich letztendlich doch noch, an einer von den lokalen Reiseveranstaltern durchgeführten Touren teilzunehmen. Bislang war ich ja ganz gut alleine zurecht gekommen, aber der Vorteil eines organisierten Ausflugs ist eben, dass man ohne Umwege und Zeitverlust mehrere Zielorte und Sehenswürdigkeiten in kurzer Zeit “abhaken” kann. Es sollte an diverse Orte in den Provinzen Lori und Tavoush (Nord/Nordost) gehen.

Ich komme also morgens gegen halb zehn ins Büro des Veranstalters Sati Travels, wo die Reise um zehn losgehen soll. Bis zu diesem Zeitpunkt war ich der einzige angemeldete Teilnehmer. Da dachte ich schon, dass das ganze im letzten Moment noch ins Wasser fällt. Aber nein, kein Problem, die Fahrt findet auf jeden Fall statt! Somit hatte ich also ein Fahrzeug, einen Fahrer, und zwei junge Sprachstudentinnen als Tour Guide allein für mich. Sowohl mit dem Fahrer als auch mit Gayane und Zaria verstand ich mich blendend und wir verbrachten einen wunderschönen Tag in der wohl schönsten Ecke des Landes. Der Fluss Debed durchzieht die Region, die von imposanten Canyons, Wäldern und Bergen geprägt ist (lokal übrigens als “armenische Schweiz” angepriesen).

Die 10-stündige Tagesreise gestaltete sich also sehr angenehm und vor allem exklusiv, und war für 20 Euro inkl. ausgiebigem Mittagessen noch dazu sehr preiswert. Amüsant fand ich vor allem die Begegnung mit rund 40 Studienreisenden aus Frankreich, die sich an einem der Aussichtspunkte gerade aus ihrem Bus quälten und wohl alles teuer zuhause beim Reiseveranstalter gebucht haben. Und die mich dabei ansahen, was ich denn wohl hinblättern muss, um solchen Service zu bekommen…

Abschließend kann ich Armenien allen als Reiseziel uneingeschränkt empfehlen. Die Menschen sind herzlich, offen und sehr hilfsbereit. Armenisch- oder Russisch-Kenntnisse sind grundsätzlich von Vorteil. Wenn man aber weder das eine noch das andere beherrscht (wie ich), werden umgehend alle Hebel in Bewegung gesetzt, um schnellstmöglich jemanden herbeizuholen, der weiterhelfen kann. Unterwegs begegnet man beispielsweise immer wieder mal alten Leuten, die zu Sowjetzeiten deutsch gelernt haben und sich jetzt wie ein Schnitzel freuen, dass endlich mal einer kommt, bei dem sie ihre Kenntnisse anbringen können.

Ein weiterer großer Vorteil: Es wird nicht versucht einen zu übervorteilen. Das Wechselgeld stimmt immer, bei Busfahrten zahlt man ohne feilschen zu müssen den regulären Fahrpreis, und fast nirgendwo (mit der Ausnahme von Japan) fühlte ich mich so sicher wie hier. Es gibt quasi keine Straßenkriminalität – lediglich beim Überqueren der Straße sollte man ein wenig mehr als zuhause auf den Verkehr aufpassen – aber man kann sich auch nachts unbeschwert allerorts fortbewegen.

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